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Johann Schöffthaler | News | 17.05.2013

Die Grenzziehung zwischen Normalarbeitszeit und Überstundenarbeit

In vielen Betrieben kommt es oft zu Missverständnissen, welche Arbeitszeit als Normalarbeit, Mehrarbeit oder Überstundenarbeit zu werten ist. Gastautor Johann Schöffthaler gibt in seinem Beitrag einen guten Überblick zum Thema inkl. Praxisbeispielen.

Einerseits hat der Gesetzgeber in § 3 Arbeitszeitgesetz (AZG) die Normalarbeitszeit mit 8 Stunden am Tag und 40 Stunden in der Woche festgelegt, andererseits lässt der Gesetzgeber eine flexibel gestaltete Normalarbeitszeit gemäß § 4 bis § 4c AZG zu:

  • Andere Verteilung der Normalarbeitszeit,
  • Normalarbeitszeit bei Schichtarbeit,
  • Gleitende Arbeitszeit,
  • Dekadenarbeit

Die Paragraphen 4 bis 4c AZG regeln nur die Überschreitung der gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Normalarbeitszeit durch Mehrleistungen, die eben unter den dort normierten Voraussetzungen nicht als Überstundenarbeit behandelt, sondern im Rahmen flexibler Arbeitszeitmodelle zuschlagsfrei in Form von Zeitausgleich abgegolten werden. Die genannten Bestimmungen sind daher nur anwendbar auf die Behandlung von Arbeitsspitzen, die über 8 Stunden täglich und 40 Stunden wöchentlich hinausgehen bzw eine kürzere kollektivvertraglich festgelegte Arbeitszeit.

Teilzeitarbeit

Die Arbeitsspitzen bei Teilzeitarbeit, außer diese Arbeitsspitzen bewegen sich im Bereich oberhalb von 8 bzw 40 Stunden, werden nicht behandelt. Stellt sich also zB bei einer Wochenarbeitszeit von 20 Stunden, verteilt auf 5 mal 4 Stunden von Montag bis Freitag, die Frage, wie eine 5. Arbeitsstunde am Tag und eine 21. Arbeitsstunde in der Woche zu behandeln sind, so ist dafür ausschließlich § 19d AZG (Teilzeitarbeit) heranzuziehen. In diesem Paragraphen werden unter anderem die Mehrarbeitszuschläge behandelt.

Kriterien für flexible Normalarbeitszeit

Um diese Normierungen der Paragraphen 4 bis 4c AZG verständlicher zu machen, wird angeraten, sich an folgenden 4 Kriterien zu orientieren, welche in sämtlichen flexiblen Modellen konkret vorzufinden sind.
Grundsätzlich zum Verständnis: Flexible Normalarbeitszeit ist schwankende Normalarbeitszeit, dh an einem Tag oder Woche länger, zum Ausgleich an anderen Tagen oder Wochen kürzer.

Kriterium 1:

Die Grenze der täglichen Normalarbeitszeit an den Spitzentagen.
-> Eine Überschreitung der Grenze gilt grundsätzlich als Überstundenarbeit.

Kriterium 2:

Die Grenze der wöchentlichen Normalarbeitszeit in den Spitzenwochen.
-> Eine Überschreitung ist wieder Überstundenarbeit.

Kriterium 3:

Die vom Gesetz oder den von diesem ermächtigten Normen, die das betreffende flexible Modell im Detail ausführen, festgelegten Bedingungen der Flexibilisierung.
-> Über die Grenzen gemäß § 3 AZG hinausgehende Arbeitszeit, bei der die Bedingungen nicht eingehalten werden, gilt als Überstundenarbeit.

Kriterium 4:

Die Länge des Durchrechnungszeitraums (von einer Woche bis zu mehreren Jahren).
-> Die tägliche Arbeitszeit darf im Durchschnitt dieses Zeitraumes nicht mehr als 8 Stunden, die wöchentliche nicht mehr als 40 oder die durch Kollektivvertrag verkürzte Normalarbeitszeit betragen; eine Überschreitung dieses Durchschnitts wird als zuschlagspflichtige Überstundenarbeit bzw die Differenz zwischen kollektivvertraglicher Wochenarbeitszeit und 40 Stunden als Mehrarbeit gemäß den Bestimmungen des Kollektivvertrages, behandelt.

Der wesentlichste zu beachtende Teil steckt im Kriterium 3:
-> Die vom Gesetz oder den von diesem ermächtigten Normen!

Damit sind der Kollektivvertrag, die Betriebsvereinbarung, das Arbeitsinspektorat und das Arbeitszeitgesetz (explizit für den Handel) gemeint.

Beispiel:

Ein Kollektivvertrag und eine konkretisierende Betriebsvereinbarung lassen eine Durchrechnung der Jahresarbeitszeit unter Beachtung bestimmter täglicher und wöchentlicher Spitzenwerte zu.

Die durchschnittliche wöchentliche Normalarbeitszeit beträgt 38,5 Stunden; die Mehrarbeit (also die Differenz zwischen 38,5 und 40 Stunden) kann laut Kollektivvertrag innerhalb des Jahres durch Zeitausgleich 1:1 abgegolten werden.

Am Jahresende noch bestehende Mehrarbeitsguthaben sind allerdings mit einem 50- %-Zuschlag abzugelten. Ein Guthaben von bis zu 40 Stunden an angespartem Zeitausgleich kann jedoch nach den Spielregeln des Kollektivvertrags 1:1 in die nächste Durchrechnungsperiode (also das nächste Jahr) übertragen werden.

Das Jahr 2013 hat 52 Arbeitswochen und einen Arbeitstag (der 1. Jänner und der 31. Dezember 2013 ist ein Dienstag, somit ergeben 52 mal 7 Tage 364 Tage, plus den Dienstag ergibt 365 Tage). Daraus ergibt sich ein Volumen an kollektivvertraglicher Mehrarbeit (unter der Annahme einer 5-Tage-Woche) von 52 × 1,5 Stunden + 18 Minuten = 78 Stunden + 18 Minuten.

Wenn nun ein Arbeitnehmer am Jahresende noch ein Zeitguthaben von zB 96 Stunden hat, so nimmt er 40 Stunden als weiterhin 1:1 konsumierbaren Zeitausgleich in das nächste Jahr mit; die weiteren 38 Stunden + 18 Minuten Mehrarbeit sind um 50 % aufzuwerten und in Zeit oder Geld abzugelten. Die restlichen 17 Stunden + 42 Minuten stellen bereits eine Überschreitung des gesetzlichen 40-stündigen Normalarbeitszeitschnitts dar und sind also Überstundenarbeit, die gemäß § 10 AZG abzugelten ist.

Achtung:

Zu beachten sind dabei kollektivvertragliche Überstundenbestimmungen. Häufig legen Kollektivverträge für zu bestimmten Zeiten geleistete Überstunden (z.B. an Sonntagen oder während einer kollektivvertraglich definierten Nachtzeit) einen 100%igen Zuschlag statt des gesetzlichen 50%igen Zuschlages fest. Am Jahresende taucht in unserem Beispiel nun das Problem auf, dass die auf Parameter 4 zurückzuführenden, also auf der Überschreitung des ganzjährigen 40-Stunden-Durchschnitts beruhenden Überstunden keinem bestimmten Zeitpunkt ihrer Leistung zugeordnet werden können.

Eine kleine Hilfestellung bezüglich dieses Problems: Kriterium 3 beinhaltet oft solche Bedingungen, die die 1:1-Abgeltung flexibler Normalarbeitsspitzen im Wege von Zeitausgleich davon abhängig machen, dass die entsprechenden Arbeitszeiten innerhalb eines bestimmten zeitlichen Rahmens geleistet wurden – also zB nicht während der Nacht oder innerhalb eines durch bestimmte Zeitpunkte definierten Wochenendes. Hier wären solche Arbeitszeiten basierend auf Kriterium 3 und nicht auf Kriterium 4 ohnedies schon bei ihrer Leistung als Überstunden auszuscheiden gewesen. Wenn nun (wie im Beispiel) am Ende des Durchrechnungszeitraumes des jeweiligen flexiblen Arbeitszeitmodells eine bestimmte Menge an Überstunden zu verrechnen ist, die von ihrem Leistungszeitpunkt als Resultat der Durchschnittsberechnung, nicht eindeutig zugeordnet werden können, kann man sich seitens der/des Arbeitgebers/in mit folgender Konstruktion behelfen, um dem zwingend angeordneten Willen der Kollektivvertragsparteien zu entsprechen: Lässt sich aus den Arbeitszeitaufzeichnungen feststellen, dass 90 % der insgesamt geleisteten Arbeitszeit zu regulären Zeiten und 10 % in Nächten und an Sonntagen geleistet wurden und enthält der Kollektivvertrag bezüglich der letztgenannten Zeiten die Anordnung eines 100%igen Überstundenzuschlages, so sind die 17 geleisteten Überstunden und 42 Überminuten in diesem Verhältnis aufzuteilen. 10 % der geleisteten Überstunden, aufgerundet 2 Stunden, sind demnach mit einem 100%igen Zuschlag, die restlichen 15 Stunden und 42 Minuten mit dem normalen 50%igen Überstundenzuschlag abzugelten.

Beispiel für die Kriterien 1 und 2

Ein Beispiel bezüglich der Kriterien 1 und 2 ist einfach erklärt: Eine kollektivvertragliche Regelung begrenzt die Normalarbeitszeit in der einzelnen Woche mit höchstens 48 Stunden und die Grenze der täglichen Normalarbeitszeit bei 9 Stunden. Überschreitet eine Tagesarbeitszeit 9 Stunden bzw eine Wochenarbeitszeit 48 Stunden, so liegt Überstundenarbeit vor.

Hinweis bezüglich der Rechtswirksamkeit betreffend Kriterium 3

Ein Kollektivvertrag lässt zB eine Ausdehnung der täglichen Normalarbeitszeit bis zu 9 Stunden zu, aber darüber hinaus auch bis zu 10 Stunden. Letzteres jedoch nur unter der Bedingung, dass der durch die Überschreitung von 9 Stunden Tagesarbeitszeit entstehende Zeitausgleich in ganzen freien Tagen konsumiert wird. Wird diese Bedingung verletzt, indem die/der Arbeitgeber/in zB dem Zeitausgleichskonsum höchstens in Form von halben freien Tagen zustimmt, verlieren die über eine 9-stündige Tagesarbeitszeit hinausreichenden Arbeitszeitteile ihre Qualifikation als Normalarbeitszeit und sind dementsprechend als Überstundenarbeit zu behandeln.

Fazit

Um den Überblick nicht zu verlieren, sollte jede Firma mit flexiblen Arbeitszeitmodellen, nicht nur genaue Arbeitszeitaufzeichnungen führen, sondern zusätzlich Arbeitszeitkonten anlegen.

Vor Zustandekommen eines Modells sollten folgende Fragen geklärt sein: Welche Obergrenzen für die tägliche und wöchentliche Normalarbeitszeit gelten in dem jeweiligen Modell? Welche Rahmenbedingungen sind jedenfalls einzuhalten, damit die jeweilige Flexibilisierung rechtswirksam zustande kommt? Wie lange darf der Durchrechnungszeitraum höchstens sein?