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Johann Schöffthaler | News | 21.03.2014

Die Verpflichtung und Zulässigkeit von Überstundenarbeit

Gastautor Johann Schöffthaler erläutert, wann ArbeitnehmerInnen gesetzlich zur Überstundenarbeit verpflichtet sind und in welchen Fällen sie nicht zulässig ist. Auch Beispiele aus der Praxis sind im Beitrag enthalten.

Überstundenarbeit ist in § 6 Arbeitszeitgesetz (AZG) geregelt.

Weitere Bestimmungen zur Arbeitszeit finden sich in:

  • § 3 AZG Normalarbeitszeit,
  • § 4 AZG Andere Verteilung der Normalarbeitszeit,
  • § 4a AZG Normalarbeitszeit bei Schichtarbeit,
  • § 4b AZG Gleitende Arbeitszeit,
  • § 4c AZG Dekadenarbeit,
  • § 5 AZG Verlängerung der Normalarbeitszeit bei Arbeitsbereitschaft,
  • § 5a AZG Normalarbeitszeit bei besonderen Erholungsmöglichkeiten und
  • § 18 Abs 2 AZG Sonderbestimmungen für Arbeitnehmer in Unternehmen des öffentlichen Verkehrs

Die Normalarbeitszeit ist definiert durch das normale, dem Vollzeit-Arbeitsvertrag zugrundeliegende Ausmaß der Leistung des Arbeitnehmers im Rahmen des Austauschverhältnisses „Arbeit gegen Entgelt“.

Die Überstundenarbeit ist die „außertourliche“ Zusatzleistung.

Wann ist Arbeitsleistung Überstundenarbeit?

Nicht jede Arbeitsleistung über das vertraglich vereinbarte Arbeitszeitausmaß hinaus ist Überstundenarbeit. Dies ist dann der Fall, wenn zwar das Arbeitszeitausmaß der vereinbarten Arbeitszeit, jedoch noch nicht die jeweils tägliche bzw wöchentliche gesetzliche Höchstgrenze der Normalarbeitszeit überschritten wird. Dies kommt dann zustande, wenn die vertraglich geschuldete Arbeitszeit unter den Werten der gesetzlichen Normalarbeitszeit liegt, zB bei Teilzeitarbeit (die so genannte Mehrarbeit).

Aber es kann Überstundenarbeit vorliegen, ohne dass das vertraglich geschuldete Arbeitszeitausmaß überschritten wird. Dies passiert bei Vollzeitarbeit, wenn der Kollektivvertrag die Normalarbeitszeitgrenze auch für Vollzeitarbeitnehmer unter die gesetzliche Grenze gesenkt hat, was ja in zahlreichen Branchen der Fall ist.

Beispiel:

Die kollektivvertragliche Normalarbeitszeit liegt in einer Branche bei 38,5 Stunden. Die Differenz zwischen diesen 38,5 Stunden und den gesetzlichen 40 Stunden gemäß § 3 AZG, wird als Mehrarbeit bezeichnet. Wird die 40-Stunden-Grenze überschritten, liegt Überstundenarbeit im Sinne von § 6 AZG vor.

Hinweis:

§ 3 Abs 1 AZG besagt für das oben genannte Beispiel, dass die tägliche Normalarbeitszeit acht Stunden und die wöchentliche Normalarbeitszeit vierzig Stunden nicht überschreiten darf.

Ein typisches Problem in der Praxis veranschaulicht folgendes Beispiel:

Ein Arbeitgeber versucht ein flexibles Arbeitszeitmodell einzuführen: Die Normalarbeitszeit von 40 Stunden pro Woche soll je nach schwankendem Arbeitsbedarf durchgerechnet werden können, sodass in „starken“ Wochen zusätzlich am Samstagvormittag gearbeitet wird (das ergibt in solchen Wochen eine Wochenarbeitszeit von 45 Stunden). In schwächeren Wochen soll innerhalb eines Durchrechnungszeitraumes von 3 Monaten die zusätzlich geleisteten Stunden ausgeglichen werden. Wenn für dieses Modell keine Zulassung gemäß § 4 AZG besteht (in der Regel nur durch Kollektivvertrag möglich), handelt es sich bei den jeweils an den Samstagvormittagen geleisteten 5 Stunden, die über wöchentlich 40 Stunden hinaus gehen, um Überstundenarbeit (da mangels Zulässigkeit der versuchten Flexibilisierung der Normalarbeitszeit die 40-Stunden-Normalarbeitszeitgrenze gemäß § 3 AZG wirksam wird).

Der Arbeitgeber wird nun im Streitfall, wenn der/die Arbeitnehmer/in die samstäglichen 5-Stunden-Pakete als Überstundenarbeit geltend macht, einwenden, in Summe seien wegen des im Verhältnis 1:1 erfolgten Zeitausgleichs nur 40 Stunden pro Woche geleistet worden. Das kann am gesetzlichen Anspruch des Arbeitnehmers auf Überstundenentgelt grundsätzlich nichts ändern. Aus dem Gesamtverhalten der Parteien lässt sich eine schlüssige Vereinbarung über die Abgeltung der Überstunden in Form von Zeitausgleich ablesen (ein nachgewiesenes Einverständnis des/der Arbeitnehmers/in mit der an sich gesetzwidrigen Flexibilisierung vorausgesetzt). Dadurch wäre der Grundstundenlohn im Rahmen des Überstundenentgelts gemäß § 10 AZG (Überstundenvergütung) bereits durch den 1:1 erfolgten Zeitausgleich abgegolten. Was aber noch fehlt, ist die Abgeltung des Überstundenzuschlags von 50 %.

Verpflichtung zur Überstundenarbeit

Der/die Arbeitnehmer/in ist für die Erbringung einer Zusatzleistung durch Überstundenarbeit nur dann verpflichtet, wenn es dafür eine über den Grundbestand des Arbeitsvertrages hinausgehende Rechtsgrundlage gibt (vgl. dazu Grillberger in Grillberger, Arbeitszeitgesetz 3 [2011], § 6 Rz 16 ff).

Solch eine Rechtsgrundlage stellt eine Vereinbarung über die Leistung von Überstundenarbeit dar: Hat sich der/die Arbeitnehmer/in verpflichtet, auf konkrete Anordnung hin Überstundenarbeit zu verrichten (eventuell auf ein bestimmtes Ausmaß, bestimmte zeitliche Lagen oder bestimmte Anlassfälle eingeschränkt) so wird diese zusätzlich übernommene Pflicht Bestandteil der Rechte und Pflichten im Rahmen des Arbeitsvertrages.

Eine solche Pflicht kann nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen nicht nur durch ausdrückliche Erklärung, sondern auch stillschweigend, wie durch ein eindeutiges Verhalten des Arbeitnehmers (§ 863 ABGB), übernommen werden. In unvorhersehbaren, ernsten Notsituationen hat der/die Arbeitnehmer/in wegen des persönlichen Einschlages des Arbeitsverhältnisses dem/der Arbeitgeber/in notfalls auch mit Überstundenleistungen beizustehen. Der/die Arbeitgeber/in kann sich nicht auf diese Treuepflicht berufen, wenn sich die Überstundenarbeit durch normale betriebsorganisatorische Maßnahmen (ausreichend großer Personalstand, organisatorische Vorsorge für Ausfälle durch Urlaub, Erkrankungen, sonstige Dienstverhinderungen, Filialeröffnungen oder -schließungen, usw) vermeiden lässt. Der Arbeitgeber hat, wenn er mit zeitweise auftretenden erhöhten Arbeitsbedarf (wie zB eben aufgrund von Dienstverhinderungen anderer Arbeitnehmer) rechnen muss, entsprechende Vereinbarungen über Überstundenarbeit anzustreben oder sonstige geeignete Maßnahmen (Neueinstellungen, Einsatz von Leiharbeit usw) zu treffen; er kann sich nicht darauf verlassen, seine Arbeitnehmer schon aufgrund von deren Treuepflicht in Situationen, die bei entsprechender Organisation Routine sein müssten, ohne Vereinbarung zu Überstundenarbeit heranzuziehen (vgl. mit Judikatur-Nachweisen Pfeil in Zellkomm §§ 6– 8 Rz 17).

So wie andere Regelungsinhalte des Arbeitsvertrages liegt die Frage der Verpflichtung zu Überstundenleistungen auch in der Regelungskompetenz des Kollektivvertrages. Stellt der einschlägige Kollektivvertrag fest, die ArbeitnehmerInnen seien im Bedarfsfall zur Leistung von Überstunden verpflichtet, dann besteht diese Verpflichtung auch ohne Zustimmung des/der einzelnen Arbeitnehmers/in. Eine Verpflichtung zu Überstundenleistung in einem darin festzulegenden Ausmaß für einen vorübergehenden Mehrbedarf kann auch eine Betriebsvereinbarung gemäß § 97 Abs 1 Z 13 ArbVG (Arbeitsverfassungsgesetz) vorsehen (vgl. Preiss in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller, Arbeitsverfassungsrecht, Band 3, § 97 Erl 19).

Fazit

Der/die Arbeitnehmer/in darf zu Überstundenarbeit nicht herangezogen werden, selbst wenn eine grundsätzliche Verpflichtung des Arbeitnehmers aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung, einer Regelung durch Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung oder ausnahmsweise der Treuepflicht des Arbeitnehmers besteht, wenn „berücksichtigungswürdige Interessen“ des Arbeitnehmers der Überstundenarbeit entgegenstehen (§ 6 Abs 2 AZG). Solche Interessen sind zB die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Familienangehörigen, die Teilnahme des/der Arbeitnehmers/in an Aus- und Fortbildungsmaßnahmen, an politischen oder kulturellen Aktivitäten, usw