Dokument-ID: 668663

Johann Schöffthaler | News | 18.05.2014

Exkurs zum KA-AZG: Stufenbau der Rechtsordnung

In diesem Beitrag wird der Stufenbau der Rechtsordnung allgemein, die Rangordnung der Rechtsnormen in Österreich sowie das sekundäre EU-Gemeinschaftsrecht dargestellt. Das sekundäre EU-Recht hat dabei gegenüber nationalem Recht Vorrang.

1. Allgemeines

Eine Rechtsnorm darf nur auf Basis einer Ermächtigungsnorm erzeugt werden. Daraus ergibt sich, dass die Ermächtigungsnorm als eine höhere Norm einzustufen ist (dies ist das Wesen des Stufenbaus der Rechtsnormen).

Da die Rechtsordnung somit höhere und niedrigere Arten von Rechtsnormen kennt, ergibt sich ein Stufenbau der Rechtsordnung (damit ist die Form und der Inhalt anderer Rechtsnormen bestimmende Rechtsnormen gemeint).

2. Stufenbau nach der rechtlichen Bedingtheit

Bestimmen Rechtsnormen die Form und Inhalt anderer Rechtsnormen, dass die so abgeleiteten Rechtsnormen

  • nicht auf andere Weise zustande kommen könnenund
  • damit diesen ihre eigene Geltung verdanken,

sind die ersten bedingende und die abgeleiteten bedingte Rechtsnormen.

3. Stufenbau nach der derogatorischen Kraft

3.1. Der Begriff „Derogation“

Derogation bedeutet, dass eine Rechtsnorm durch eine

  • höherrangige Rechtsnormoder
  • später erlassene gleichrangige Rechtsnorm

aufgehoben oder abgeändert wird.

3.2. Arten der Derogationen

„Formelle“ und „materielle“ Derogation

Die Derogation kann erfolgen durch:

  • ausdrückliche Aufhebung oder Änderung einer Rechtsnorm (formelle Derogation)oder
  • inhaltlichen Widerspruch (materielle Derogation).

3.3. Form einer Rechtsnorm und Derogation

Die Form einer Rechtsnorm wirddurchihre Erzeugungsnorm bestimmt.

Rechtsnormen, die nach der gleichen Erzeugungsnorm geschaffen werden, haben somit die gleiche Rechtsform.

Jeder Rechtsform ist eine bestimmte derogatorische Kraft zu gewiesen.

3.4. Derogation von Rechtsnormen gleicher Form

Bei Rechtsnormen gleicher Rechtsform (z.B. Bundesgesetze) gilt der Grundsatz lex posterior (eine später erlassene Rechtnorm verdrängt die früher erlassene Rechtsnorm mit gleichem Regelungsgegenstand).

3.5. Derogation von Rechtsnormen unterschiedlicher Formen

Bei innerstaatlichen RechtsnormenunterschiedlicherRechtsformen trittkeineautomatische materielle Derogation durch die höhere Rechtsnorm ein.

  • Widerspruch zwischen einfachem Gesetz und Verfassungsgesetz oder Verordnung und Gesetz:

Gemäß Art 140 B-VG hebt bei Beschwerde bei inhaltlichem Widerspruch der VfGH die niedrigere widersprechende Rechtsnorm (Verordnung/einfaches Gesetz) auf (§ 59 Abs 1, § 64 Abs 1 VfGG).

  • Widerspruch zwischen Bescheid einer Verwaltungsbehörde und Gesetz oder Verordnung:

Bei inhaltlichem Widerspruch zwischen der höheren und niedrigeren Rechtsnorm heben Verwaltungsgerichte die niedrigere widersprechende Rechtsnorm (hier den Bescheid) im Beschwerdefall gemäß Art 130 B-VG auf oder ändern diese entsprechend der höheren Rechtsnorm (siehe § 28 VwGVG).

  • Widerspruch zwischen Erkenntnis des VwG und Gesetz oder Verordnung:

Bei inhaltlichem Widerspruch zwischen der höheren und niedrigeren Rechtsnorm hebt

im Revisionsfall gemäß Art 133 Abs 1 B-VG der VwGH (siehe § 42 Abs 2 VwGG) die niedrigere widersprechende Rechtsnorm (hier Erkenntnis des VwG) auf oder ändert diese entsprechend der höheren Rechtsnorm siehe § 42 Abs 4 VwGG);

im Beschwerdefall gemäß Art 144 Abs 1 B-VG (wegen Verfassungswidrigkeit) der VfGH die niedrigere widersprechende Rechtsnorm (hier Erkenntnis des VwG) auf.

3.6. Widerspruch EU-Recht/innerstaatliche Normen

Bei inhaltlichem Widerspruch zwischen

  • innerstaatlichen generell abstrakten Rechtsnormen (Bundes-, Landesgesetze bzw Verordnungen) und
  • EU-Rechtsnormen (AEUV, Beitrittsverträge, EU-Verordnungen, EU-Richtlinien)

gilt Art 288 AEUV (= Verdrängung innerstaatlicher Rechtsnormen durch EU-Recht).

Nach Art 288 AEUV tritt eine materielle Derogation der innerstaatlichen Rechtsnormen durch die EU-Rechtsnormen ein, in dem die inhaltlich widersprechenden innerstaatlichen Rechtsnormen (Gesetze, Verordnungen) verdrängt werden.

4. Rangordnung der Rechtsnormen in Österreich

4.1. Grundprinzipien der Bundesverfassung

Jede Verfassung eines Staates baut auf gewisse grundsätzliche politische Ideen auf, nach welchen die staatliche Ordnung gestaltet sein soll.

Der Bundesverfassung liegen ua folgende Prinzipen zu Grunde:

  • das demokratische Prinzip (Art 1 B-VG);
  • das republikanische Prinzip (Art 1 B-VG);
  • das bundesstaatliche Prinzip (Art 2 B-VG);
  • das rechtsstaatliche Prinzip unter anderem durch
    • Überprüfbarkeit aller Verwaltungsakte durch VwG, VwGH und VfGH (Art 130, 133 und 144 B-VG),
    • Bindung der Vollziehung an Gesetze gemäß Art 18 B-VG,
    • Prüfung der Gesetze und Verordnungen auf Verfassungs- bzw Gesetzmäßigkeit gemäß Art 139 und 140 B-VG.

Diesen Prinzipien kommt grundsätzliche Bedeutung zu, als diese nur durch

  • Bundesverfassungsgesetz mit mindestens 2/3 Mehrheit des Nationalratesund
  • mit Zustimmung des Bundesratesund
  • mit Zustimmung des Volkes bei einer zwingend abzuhaltenden Volksabstimmung

geändert oder aufgehoben werden können.

4.2. Primäres EU-Gemeinschaftsrecht

Das primäre EU-Gemeinschaftsrecht umfasst die

  • EU-Gründungsverträge;
  • Änderungen der Gründungsverträge;
  • EU-Beitrittsverträge.

Der Vorrang dieser EU-Rechtsakte gegenüber den übrigen EU-Rechtsakten ergibt sich aus § 13 Abs 2 EUV, wonach jedes Organ der EU „nach Maßgabe der ihm in den Verträgen zugewiesenen Befugnisse zu handeln hat“.

4.3. Sekundäres EU-Gemeinschaftsrecht

Das sekundäre EU-Gemeinschaftsrecht umfasst die

  • EU-Verordnungen;
  • EU-Richtlinien;
  • EU-Beschlüsse.

EU-Verordnungen sind generell abstrakte Rechtsnormen, vergleichbar den Gesetzen in den Mitgliedstaaten (Innerstaatliche Geltung von EU-Verordnungen).

Gemäß Art 288 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) sind EU-Verordnungen in allen Teilen verbindlich und gelten in den Mitgliedstaaten unmittelbar (Innerstaatliche Umsetzungspflicht von EU-Richtlinien).

EU-Richtlinien sind für jeden Mitgliedstaat hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlassen jedoch diesen die Wahl der Form und der Mittel zur Umsetzung des Ziels (Art 288 AEUV).

EU-Beschlüsse sind in allen ihren Teilen für den Adressaten, an den sie gerichtet sind, verbindlich (Art 288 AEUV).

Der Vorrang des sekundären EU-Rechts gegenüber nationalem Recht ergibt sich somit in Art 288 AEUV.

4.4. Das Bundesverfassungsrecht

4.5. Das Landesverfassungsrecht

4.6. Einfache Bundes- und Landesgesetze

4.7. Die Verordnungen

4.8. Bescheide, Urteile, Erkenntnisse der VwG

5. Bedeutung der Hierarchie der Rechtsnormen

Jede niederrangige Rechtsnorm muss in einer höherrangigen gedeckt sein (sowohl was die Erzeugung als auch den Inhalt betrifft).

Eine niederrangige Rechtsnorm darf keiner höherrangigen Rechtsnorm widersprechen.

Eine Rechtsnorm kann nur durch eine gleichrangige oder höherrangige Rechtsnorm aufgehoben werden.

Siehe auch Beitrag: Das Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz und warum die EU-Kommission ein Problem mit Österreich hat