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Johann Schöffthaler | News | 16.10.2014

Nachtarbeit – welche gesetzlichen Bestimmungen gilt es zu beachten?

Gastautor Johann Schöffthaler geht den Fragen nach: Was ist Nachtarbeit und wer ist aller davon betroffen? Bei welcher Formulierung können am Bsp. des § 12a Abs. 1, 2 und 4 AZG Irritationen auftreten? Ist das EU-Recht in Ö richtig umgesetzt?

Gesetzlicher Hintergrund (EU-Recht)

Durch die Anpassung der österreichischen Rechtslage an die Gleichbehandlungs-Richtlinie der EU und die Umsetzung der Richtlinie 2003/88/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, existieren nur mehr geschlechtsneutrale Nachtarbeitsregelungen, die für Männer und Frauen gleichermaßen gelten.

Die Richtlinie enthält Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung (Kapitel 1, Artikel 1 Abs 1). Gegenstand dieser Richtlinie sind die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten, der Mindestjahresurlaub, die Ruhepausen und die wöchentliche Höchstarbeitszeit sowie bestimmte Aspekte der Nacht- und der Schichtarbeit sowie des Arbeitsrhythmus.

Bezüglich Nachtarbeit hat das europäische Parlament und der Rat der europäischen Union, gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 137 Absatz 2, auf Vorschlag der Kommission, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, nach Anhörung des Ausschusses der Regionen, gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags, in Erwägung nachstehender Gründe erwogen (vgl. RL 2003/88/EG vom 04.11.2003):

  • Untersuchungen zeigen, dass der menschliche Organismus während der Nacht besonders empfindlich auf Umweltstörungen und auf bestimmte belastende Formen der Arbeitsorganisation reagiert und dass lange Nachtarbeitszeiträume für die Gesundheit der Arbeitnehmer nachteilig sind und ihre Sicherheit bei der Arbeit beeinträchtigen können.
  • Infolgedessen ist die Dauer der Nachtarbeit, auch in Bezug auf die Mehrarbeit, einzuschränken und vorzusehen, dass der Arbeitgeber im Fall regelmäßiger Inanspruchnahme von Nachtarbeitern die zuständigen Behörden auf Ersuchen davon in Kenntnis setzt.
  • Nachtarbeiter haben vor Aufnahme der Arbeit — und danach regelmäßig — Anspruch auf eine unentgeltliche Untersuchung ihres Gesundheitszustands und müssen, wenn sie gesundheitliche Schwierigkeiten haben, soweit jeweils möglich auf eine für sie geeignete Arbeitsstelle mit Tagarbeit versetzt werden.
  • In Anbetracht der besonderen Lage von Nacht- und Schichtarbeitern müssen deren Sicherheit und Gesundheit in einem Maß geschützt werden, das der Art ihrer Arbeit entspricht, und die Schutz- und Vorsorgeleistungen oder -mittel müssen effizient organisiert und eingesetzt werden.

Hinweis „Günstigere Vorschriften (Artikel 15)“

Das Recht der Mitgliedstaaten, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder die Anwendung von für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigeren Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern zu fördern oder zu gestatten, bleibt unberührt.

Nach Definition des Arbeitszeitgesetzes (AZG) in Österreich ist die Nacht, die Zeit, zwischen 22.00 Uhr und 05.00 Uhr. Nachtarbeitnehmer/innen sind Arbeitnehmer/innen, die regelmäßig1 oder sofern der Kollektivvertrag2 nicht anderes vorsieht, in mindestens 48 Nächten im Kalenderjahr während der Nacht mindestens drei Stunden arbeiten (vgl. § 12a AZG).

1. regelmäßig:

Die Bedeutung des Wortes „regelmäßig“ nach Duden: einer bestimmten festen Ordnung, Regelung (die besonders durch zeitlich stets gleiche Wiederkehr, gleichmäßige Aufeinanderfolge gekennzeichnet ist) entsprechend, ihr folgend

Diese Übersetzung kann hier nicht angewendet werden, da dies in Bezug auf Arbeitszeiten nur Schichtarbeiter/innen aufgrund des Schichtplans betreffen würde. Werden aber Menschen immer zu verschiedenen Kalenderdaten zu einer Arbeit in der Nacht eingeteilt wäre es nach Duden nicht regelmäßig. Andererseits würde zB bei einem/er IT-Arbeiter/in, welche/r jedes Jahr zu Silvester in der Nacht arbeitet, Regelmäßigkeit gegeben.

Regelmäßigkeit bedeutet hier im Sinne des § 12a AZG, dass im Rahmen der Arbeitszeiteinteilung Nachtarbeit gleichsam zur Normalität gehört, das heißt in wenn auch nicht gleichen, so doch nicht allzu langen Abständen immer wieder auftritt (vgl. Arbeitszeitgesetz – Gesetze und Kommentare, 3. Auflage, ÖGB-Verlag).

2. Kollektivvertrag:

Der Kollektivvertrag ist bei seiner Nachtarbeitsdefinition nach unten frei. Wenn jemand schon bei weniger gearbeiteten Nächten jährlich als Nachtarbeitnehmer/in gilt, erhöht dies ja den Schutz.

Nach oben ist die Fragestellung von geringer Bedeutung, da bei Berücksichtigung von Urlaub, durchschnittlichen Fehlzeiten und Feiertagen, bei etwas mehr als 200 Arbeitstagen eines typischen Arbeitnehmers/in pro Jahr, wird ein/e Arbeitnehmer/in mit 48 Nachteinsätzen in aller Regel – im Sinne des obigen Definitionsversuchs – bereits „regelmäßig“ Nachtarbeit leisten. Immerhin ist durchschnittlich jeder vierte seiner/ihrer Dienste ein Nachtdienst. Würden Kollektivvertragsparteien die Grenzzahl für die Nachtarbeitsdefinition von 48 ausgehend weiter in die Höhe schrauben, wird der entfallende Schutz durch das Anknüpfen an der „regelmäßigen Nachtarbeit“ ersetzt.

Die Dauer der normalen Arbeitszeit für Nachtarbeitnehmer/innen

Die Dauer der normalen Arbeitszeit für Nachtarbeitnehmer/innen darf gemäß Artikel 8 RL 2003/88/EG im Durchschnitt acht Stunden pro 24-Stunden-Zeitraum nicht überschreiten und Nachtarbeiter/innen, deren Arbeit mit besonderen Gefahren oder einer erheblichen körperlichen oder geistigen Anspannung verbunden ist, dürfen in einem 24-Stunden-Zeitraum, während dessen sie Nachtarbeit verrichten, nicht mehr als acht Stunden arbeiten.

Um abzuklären, welche Arbeit mit besonderen Gefahren oder einer erheblichen körperlichen oder geistigen Anspannung verbunden ist, gibt es die Möglichkeit, dies im Rahmen von einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten oder von Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern, festzulegen.

Umsetzung in Österreich

In Österreich wurde dies mittels Arbeitszeitgesetz und Nachtschwerarbeitsgesetz umgesetzt:

Beträgt in den Fällen der Arbeitsbereitschaft gemäß § 5 AZG die durchschnittliche tägliche Normalarbeitszeit der Nachtarbeitnehmer/innen innerhalb eines Durchrechnungszeitraumes von 26 Wochen mehr als acht Stunden, so gebühren zusätzliche Ruhezeiten. Von der Summe aller Überschreitungen abzüglich der Summe aller Unterschreitungen der täglichen Normalarbeitszeit von acht Stunden im Durchrechnungszeitraum sind insgesamt zwei Drittel als zusätzliche Ruhezeiten zu gewähren (§ 12a Abs 4 AZG).

Nachtschwerarbeiter/innen sind Nachtarbeitnehmer/innen, die Nachtarbeit im Sinne des Abs 1 unter den in Art VII Abs 2, einer Verordnung nach Art VII Abs 3 oder eines Kollektivvertrages gemäß Art VII Abs 6 NSchG (Nachtschwerarbeitsgesetz) genannten Bedingungen leisten (§ 12a Abs 3 AZG). Dieses Thema werde ich in einem weiteren Artikel näher besprechen. Hier würde es den Rahmen sprengen.

Somit ist es in Österreich aufgrund des § 5 AZG, wonach die wöchentliche Normalarbeitszeit bis auf 60 Stunden, die tägliche Normalarbeitszeit bis auf zwölf Stunden ausgedehnt werden kann, wenn der Kollektivvertrag oder die Betriebsvereinbarung dies zulässt und darüber hinaus in die Arbeitszeit des Arbeitnehmers regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft³ fällt, möglich bis zu 12 Stunden in der Nacht zu arbeiten.

3. Arbeitsbereitschaft in erheblichen Umfang:

Arbeitsbereitschaft ist eine Arbeitszeitform, die sich durch eine reduzierte Arbeitsbelastung auszeichnet, und zwar insofern, als der Arbeitnehmer/in dabei nicht Arbeiten im engeren Sinn leistet, sondern sich an einem vom Arbeitgeber/in bestimmten Ort für die eigentlichen Arbeitseinsätze bereithält (z.B. OGH 30.6.1994, RdW 1995, 67). Da der Arbeitnehmer/in in diesen Zeiten den Aufenthaltsort nicht frei wählen kann und auch in der Verfügung über seine/ihre Zeit dadurch stark eingeschränkt ist, dass er/sie im Regelfall mit einer gewissen Aufmerksamkeit auf die Möglichkeit einer Tätigkeitsaufnahme eingestellt sein muss, zählt die Arbeitsbereitschaft zur Arbeitszeit. Da jedoch das bloße Warten auf Arbeitseinsätze doch eine größere Möglichkeit zu Entspannung und Erholung bietet als Vollarbeit im engeren Sinne, lässt der Gesetzgeber die dargestellte Verlängerung der Arbeitszeit zu, wenn sie einen bestimmten Anteil an Arbeitsbereitschaft enthält.

Arbeitsbereitschaft liegt zB bei einem Nachtportier vor, der nur dann einen Schlüssel aushändigen muss, wenn ein Gast eintritt oder abreist. Arbeitsbereitschaft liegt jedoch nicht vor, wenn zB ein Bildschirm oder Messinstrument ständig beobachtet werden muss (vgl. OGH 30.6.1994, RdW 1995, 67); sie wäre demgegenüber aber zu bejahen, wenn eine derartige Überwachungstätigkeit sich zB darauf beschränkt, dass der/die Arbeitnehmer/in bereit ist, auf ein akustisches Signal zu reagieren, durch das die Überschreitung bestimmter Messwerte angezeigt wird und das den/die Arbeitnehmer/in etwa zu Einstellarbeiten an einer Maschine veranlasst.

Die Arbeitszeit muss zumindest zu einem Drittel aus Arb9eitsbereitschaft bestehen, damit von „erheblichem Umfang“ gesprochen werden kann (vgl. Erlass des BMAS, ARD 4319/6/91). Den Entscheidungen OGH 8 ObA 35/02h und OGH 6.10.2005, DRdA 2007, 37 ist zu entnehmen, dass Arbeitsbereitschaft grundsätzlich für jeden Tag und für jede Woche im Vorhinein vorhersehbarer Bestandteil der Arbeitszeit sein müsse, damit die damit verbundenen Rechtsfolgen – insbesondere Verlängerbarkeit der (Normal-)Arbeitszeit an diesem Tag bzw in dieser Woche – eintreten können (siehe auch Grillberger in Grillberger, Arbeitszeitgesetz3 [2011] § 5 Rz 7).

Um Missverständnisse vorzubeugen möchte ich hier an dieser Stelle einen Kommentar aus der kommentierten Ausgabe des Arbeitszeitgesetzes, 3. Auflage, ÖGB-Verlag, zitieren:

„Die Arbeitszeitbegrenzung, die die EU-Arbeitszeitrichtlinie für Nachtarbeitnehmer vorgibt, wird nicht vollständig in das österreichische Recht umgesetzt. Eigentlich sieht Art 8 lit a der Richtlinie (siehe oben) vor, dass „die normale Arbeitszeit“ für Nachtarbeitnehmer 8 Stunden pro 24 Stunden Zeitraum nicht überschreiten darf. Der österreichische Gesetzgeber hat sich nun ganz naiv gestellt und den Begriff der „normalen Arbeitszeit“ aus der europäischen Richtlinie einfach mit dem österreichischen Begriff der Normalarbeitszeit gemäß § 3 AZG gleichgesetzt [….]. Die scheinbar wörtliche Interpretation der „normalen Arbeitszeit“ der europarechtlichen Vorgabe führt jedoch in die Irre. Nach der europarechtlichen Kompetenzlage können Bestimmungen der Arbeitszeitrichtlinie nur die Aufgabe haben, Arbeitsbelastungen im Sinne des Gesundheitsschutzes, bei weitem Verständnis von Gesundheit auch im Sinne eines Freizeitschutzes der Arbeitnehmer/innen zu begrenzen […].

[…] Bei aller guten Schutzabsicht muss also festgestellt werden, dass die Nachtarbeitsbestimmungen der Arbeitszeitrichtlinie zu plump und undifferenziert an die Frage der Arbeitszeitbegrenzung herangegangen sind, weshalb auch die Nonchalance, mit der sie der österreichische Gesetzgeber umgesetzt hat, nicht weiter erstaunt. Was an expliziter Umsetzung für die regulären Nachtarbeitnehmer (also nicht die Nachtschwerarbeiter) bleibt, ist eine eher skurrile Regelung für den Bereich der Arbeitsbereitschaft gem § 5. Im Zusammenhang mit Arbeitsbereitschaft ist ja auch eine Normalarbeitszeit von deutlich mehr als 8 Stunden täglich zulässig – zumindest nach der aktuell geltenden österreichischen Gesetzeslage, die allerdings diesbezüglich in starker Spannung im Verhältnis zur EU-Rechtslage steht […]“