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Reisezeit, Wegzeit und Arbeitsort – was gilt es zu beachten?
Johann Schöffthaler beleuchtet in seinem Beitrag, worin die Unterschiede zwischen Reisezeit und Wegzeit liegen und bringt Beispiele aus der Praxis. Was gilt es arbeits- und arbeitsschutzrechtlich zu beachten, welche Entgeltansprüche bestehen?
Das Problem ist die genaue Erfassung in der Arbeitszeitaufzeichnung. Es gibt viele Betriebe bzw Branchen, in denen es zu Reisebewegungen durch das Personal kommt, Bauarbeiter/innen, Kranwagenlenker/innen, Montagepersonal, etc.
Definition Reisezeit, Arbeitsort
Die Erleichterung des § 20b AZG besteht darin, dass durch Reisezeiten die Höchstgrenzen der Arbeitszeit überschritten werden können. Die Judikatur des OGH und des EUGH beschreiben verschiedene Formen von Reisezeiten. Um Reisezeiten zu deklarieren, muss genau geregelt sein, was zu einer aktiven bzw zu einer passiven Reisezeit zuzurechnen ist, wo ist der Arbeitsort und eine genaue Abtrennung von der Wegzeit.
Reisezeit im Sinne des AZG liegt vor, wenn der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin über Auftrag des Arbeitgebers/der Arbeitgeberin vorübergehend einen Dienstort (Arbeitsstätte) verlässt, um an anderen Orten seine Arbeitsleistung zu erbringen, sofern der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin während der Reisebewegung keine Arbeitsleistung zu erbringen hat (sic! § 20b AZG; vgl OGH 9 ObA 109/03z, RdW 2004, 502).
Der tägliche Weg von der Wohnung zum Arbeitsort verursacht keine Reisezeit, sondern Wegzeit, die keine Arbeitszeit darstellt mit Ausnahme des Rufes zur Arbeit während der Rufbereitschaft (vgl. § 20a AZG).
Unter dem Arbeitsort ist der regelmäßige Mittelpunkt des tatsächlichen Tätigwerdens des oder der Arbeitnehmers/in zu verstehen. Der Arbeitsort muss nicht mit dem Standort des Betriebes oder mit der Unternehmenszentrale ident sein.
Beispiele
Für Bauarbeiter/innen ist die jeweilige Baustelle als Arbeitsort anzusehen, die Fahrzeit von der Wohnung zur Baustelle ist als Wegzeit nicht der Arbeitszeit zuzurechnen, auch nicht eine (fiktive) Wegzeit vom Betriebssitz zur Baustelle (vgl. OGH 9 ObA 109/03z, RdW 2004, 502).
Die Wegzeit vom Wohnort eines Arbeitnehmers der Montage- und Wartungsarbeiten durchführte zum 1. Kunden sowie vom letzten Kunden wieder nach Hause ist als Vollarbeitszeit vom EUGH qualifiziert worden, dabei spielte eine Rolle, dass der Arbeitgeber die Kundenreihenfolge vorgab, dem Arbeitnehmer also kein Spielraum blieb (10.9.2015, C-266/14, Tyco).
Die Reisebewegung von Buschauffeuren, welche diese in ihrer Ruhepause vornehmen mussten, um ihren Dienst nach der Pause an einer anderen Station wieder anzutreten, wurden vom OGH nicht als Dienstreise qualifiziert, da der Dienstort das gesamte örtliche Kraftfahrliniennetz umfasste und die Pause lang genug wäre, um den Arbeitnehmern/innen Spielraum für private Unternehmungen zu lassen (vgl. OGH 9 ObA 102/93, DRdA 1994/6; 9 ObA 6/09m, DRdA 2011/47).
Entsprechend wurden vom OGH (vgl. 9 ObA 47/11v, infas 2012, A 59) die Zeiten der Bewegung einer Reinigungskraft von einer Dienststätte zur nächsten nicht als Ruhepause, sondern als Vollarbeitszeit gewertet, da die vom Arbeitgeber vorgesehene „Ruhepause“ nicht länger als die benötigte Wegzeit war und außerdem der „rascheste“ Weg genau vorgegeben war. Insofern gehöre bei der Reinigungskraft ähnlich wie bei Außendienstmonteuren die Reisebewegung unweigerlich zu ihrer Haupttätigkeit dazu und sei daher jedenfalls voll zu entlohnen.
Aktive vs. passive Reisezeit
Somit muss man unterscheiden zwischen aktiver und passiver Reisezeit:
Passive Reisezeit bezeichnet zB das Reisen in öffentlichen Verkehrsmitteln oder Mitfahren im Auto von Kollegen.
Aktive Reisezeit liegt vor, wenn der/die Arbeitnehmer/in selbst ein Fahrzeug lenkt.
Das ARÄG 2015 (Arbeitsrechts-Änderungsgesetz 2015) hat die aktive Reisezeit erstmals definiert als die Zeiten des angeordneten Lenkens eines Fahrzeugs während der Reisebewegung, wenn der oder die Arbeitnehmer/in über Auftrag des oder der Arbeitgebers/in seinen/ihren Arbeitsort verlässt, um an anderen Orten seine/ihre Arbeitsleistung zu erbringen. Allerdings darf das Lenken nicht die Haupttätigkeit des Arbeitnehmers/in darstellen, sonst ist die Lenkzeit als Vollarbeitszeit zu qualifizieren und die Erleichterungen des § 20b AZG, wonach zB die Höchstarbeitszeit auf 12 Stunden am Tag ausgedehnt werden kann, kommen nicht zur Anwendung.
Die Anordnung des Lenkens kann entweder ausdrücklich oder schlüssig erfolgen. Eine schlüssige Anordnung liegt vor, wenn das Reiseziel mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht oder nicht in der vorgegebenen Zeit erreicht werden kann, oder wenn der/die Arbeitnehmer/in üblicherweise solche Dienstreisen mit dem eigenen Pkw vornimmt und dies vom Arbeitgeber/in geduldet bzw durch Auszahlung von Kilometergeld gebilligt wird.
Der Arbeitsort bei aktiven Reisezeiten ist nicht zwingend mit dem Arbeitsort nach dem Arbeitsvertrag bzw dem Dienstzettel gleichzusetzen (vgl. 903 RV 25. GP 7, ARÄG 2015).
Erstreckt sich zB die regelmäßige Tätigkeit von Außendienstmitarbeiter/innen auf mehrere Bundesländer, seien diese als Arbeitsort anzusehen, unabhängig davon, was als Arbeitsort im Arbeitsvertrag festgeschrieben ist (vgl. dazu Schrank, AZG3 Rz 10 zu § 20b). Werden sie jedoch im Einzelfall außerhalb dieses Gebietes tätig, sei eine Arbeitszeitverlängerung nach § 20b AZG zulässig.
Definition „passives Reisen“
Der Begriff der Reisezeit erfasst auch solche Reisebewegungen, die als „passives Reisen“bezeichnet werden können. Das sind solche Zeiten, die der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin in dienstlichem Auftrag in Verkehrsmitteln, auf Bahnhöfen oder Flughäfen oder auf dem Weg dorthin verbringt, ohne dass während dieser Zeit Arbeit geleistet wird. Ziel des „passiven Reisens“ ist es, einen Ort zu erreichen, an dem vorübergehend Arbeitsleistungen zu erbringen sind, oder von diesem Ort wieder an den Dienstort zurückzukehren.
Keine Reisezeiten im Sinne des Gesetzes sind Zeiten, in denen der/die Arbeitnehmer/in seine/ihre Arbeitsverpflichtung selbst erfüllt, also etwa in der Eisenbahn oder Bus Akten bearbeitet oder sich für eine Besprechung am Zielort der Dienstreise vorbereitet.
Bei Berufskraftfahrern, Flugbegleitern oder Zugpersonal gehört die Reisetätigkeit zum ständigen Aufgabengebiet, sie stellt immer Arbeit im engeren Sinn dar, die Sonderbestimmungen des § 20b gelten für diese Ortsbewegungen nicht.
Auch bei Außendienstmitarbeitern/innen, deren Tätigkeit darin besteht, von einem Kunden/Kundin zum/zur nächsten zu fahren und dort zB Servicearbeiten vorzunehmen, sind die Zeiten des Lenkens als Vollarbeitszeit zu werten (vgl. dazu OGH 9 ObA 34/10f, infas 2010, A 75). In solchen Fällen kommen die Ausnahmeregelungen des § 20b AZG nicht zum Tragen. Dies wurde durch den EuGH bestätigt (vgl. 10. 9. 2015, C-266/14, Tyco).
Im Gegensatz dazu gibt es auch Zeiten auf Dienstreisen, die weder als Arbeitszeit im engeren Sinn noch als Reisezeit iSd § 20b AZG anzusehen sind. Das sind zB Ruhezeiten bei mehrtägigen Dienstreisen am Bestimmungsort außerhalb der festgelegten oder vereinbarten Normalarbeitszeit.
Auswirkungen auf das Entgelt
Grundsätzlich sind aktive Reisezeiten in Hinblick auf die Beanspruchung durch das Lenkens eines Kfz wie Vollarbeitszeit abzugelten. Die Vereinbarung eines geringeren Entgelts für das (angeordnete) selbstständige Lenken eines Privatfahrzeuges kann dann zulässig sein (OGH 9 ObA 182/93, DRdA 1994/30), wenn die Pkw-Fahrt nicht zur Vollarbeitszeit zählt, weil sie keine Haupttätigkeit des/der Arbeitnehmers/in darstellt und die Haupttätigkeit, zB als Werksleiter/in, so anspruchsvoll ist, dass er/sie mit der weitgehend mechanischen Tätigkeit des Lenkens eines Pkws nicht gleichgesetzt werden kann und auch entsprechend gut entlohnt ist. Dies gilt nur für Reisezeiten außerhalb der Normalarbeitszeit, für Reisebewegungen innerhalb der Normalarbeitszeit steht immer das volle Entgelt zu.
Wie bei Zeiten der Arbeitsbereitschaft ist auch für Zeiten des passiven Reisens die kollektivvertragliche Festlegung eines geringeren Entgelts als für Arbeitszeiten im engeren Sinn zulässig (vgl. OGH 4 Ob 49/84, Arb 10.356). Unter einem „geringeren Entgelt“ kann auch ein Abgehen von der Zuschlagsregelung für Überstunden verstanden werden. Solche Vereinbarungen für Reisezeiten außerhalb der Normalarbeitszeit sind zulässig, wenn sie nicht sittenwidrig sind, was bei einem völligen, ersatzlosen Entfall jeglicher Vergütung ohne Ausgleich durch ein höheres Gesamtentgelt oder höhere Aufwandersätze im Normalfall anzunehmen ist. Gibt es allerdings keine Sonderregelungen der Entgeltpflicht für Reisezeiten, so sind sie wie Zeiten der Arbeitsbereitschaft voll zu entlohnen (vgl. OGH 4 Ob 49/84, Arb 10.356).
Achtung:
Aufwandersätze oder Diäten dürfen mit der Vergütung der Reisezeit nicht gleichgesetzt werden. Aufwandersätze gelten einen Reiseaufwand ab, Diäten dienen der Bezahlung der arbeitsbezogen verbrachten Zeit. Nur dann, wenn es klar vereinbart und eindeutig abgrenzbar ist, können Aufwandentschädigungen, die über den tatsächlichen Aufwand hinausgehen, auch die Reisezeit als Arbeitszeit abgelten.