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Johann Schöffthaler | News | 23.11.2017

Ruhezeit im AZG: Fälle aus der Praxis

Gastautor Johann Schöffthaler beschäftigt sich in diesem Beitrag ua mit dem Praxisfall „Unterbrechung der täglichen Ruhezeit auf Grund eines unvorhergesehenen Arbeitseinsatzes“ und der branchenspezifische Verkürzungsmöglichkeit für Saisonbetriebe.

1. Die Unterbrechung der täglichen Ruhezeit aufgrund eines unvorhergesehenen Arbeitseinsatzes

Der Kollektivvertrag kann die Ruhezeit von 11 Stunden auf mindestens 8 Stunden verkürzen (§ 12 Abs 2 AZG). Eine solche Verkürzung muss innerhalb der nächsten 10 Kalendertage durch eine entsprechende Verlängerung einer anderen täglichen oder wöchentlichen Ruhezeit ausgeglichen werden. Eine tägliche Ruhezeit muss dann also beispielsweise mindestens 14 Stunden betragen, wenn zuvor eine andere tägliche Ruhezeit auf Basis einer kollektivvertraglichen Regelung auf 8 Stunden verkürzt worden ist (vgl. näher Schrank, Flexiblere Arbeitszeiten: Arbeitszeit- und Ruhezeitausgleiche im neuen Arbeitszeitrecht).

Mit dieser Anordnung der Ausgleichsruhezeit in § 12 Abs 2 zweiter Satz wird Art 17 Abs 2 der EU-Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) Rechnung getragen.

Wird die Ruhezeit durch einen Arbeitseinsatz gestört, bevor die vorgeschriebene Mindestdauer erreicht wurde, ist wegen der zwingend vorgeschriebenen Ununterbrechbarkeit der Ruhezeit die tägliche Ruhezeit im vorgeschriebenen Mindestmaß an den Arbeitseinsatz anzuschließen. Die dadurch am nächsten Arbeitstag allenfalls versäumte Arbeitszeit ist so abzugelten, als ob sie geleistet worden wäre (vgl. Pfeil in Grillberger, AZG3 § 12 Rz 4): Dieser Entgeltfortzahlungsanspruch wird begründet mit § 1155 Abs 1 ABGB, wonach dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin das Entgelt auch dann zusteht, wenn er oder sie an der Arbeitsleistung „durch Umstände, die auf der Seite des Dienstgebers liegen“, gehindert worden ist. Da den Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin die Verpflichtung zur Gewährung der ununterbrochenen täglichen Ruhezeit trifft und ein aus betrieblichen Gründen erforderlich gewordener Arbeitseinsatz während dieser Ruhezeit ebenfalls dem Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin zuzurechnen ist, fällt der Grund für die Arbeitsversäumnis am folgenden Arbeitstag eindeutig in die Sphäre des Arbeitgebers bzw Arbeitgeberin.

Der Entgeltfortzahlungsanspruch ist nicht abdingbar, obwohl § 1155 ABGB im Rahmen der Aufzählung der zwingenden Vorschriften des arbeitsrechtlichen Teils des ABGB in § 1164 ABGB nicht genannt wird, da das Arbeitnehmerschutzrecht, zu dem das Arbeitszeitgesetz zu zählen ist, ausschließlich den Arbeitgeber bzw die Arbeitgeberin verpflichtet. Würde man die entstehenden Kosten auf den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin übertragen können, würde dies die grundlegende Rollenverteilung im Arbeitnehmer/innenschutzrecht verdrehen. Das Zusammenspiel von § 12 AZG und § 1155 ABGB verlangt unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks die Unabdingbarkeit von § 1155 ABGB.

2. Die Regelung der wöchentlichen Ruhezeit im AZG

Der Geltungsbereich des AZG und des Arbeitsruhegesetzes ist nicht identisch. Es gibt noch kleine Arbeitnehmer/innengruppen, für die zwar nicht das Arbeitsruhegesetz, jedoch das AZG gilt (z. B. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in Theaterbetrieben iSd Schauspielergesetzes beschäftigt sind, § 1 Abs 2 Z 8 AZG). Ob diesen Arbeitnehmer/innengruppen aus der Ruhezeitregelung in § 12 Abs 3 AZG auch nur der geringste Schutz erwächst, ist fraglich. Gemäß § 33 Abs 2 AZG tritt § 12 Abs 3 AZG nämlich erst dann in Kraft, wenn eine Verordnung gemäß § 12 Abs 4 AZG erlassen wurde, die bestimmte Betriebe von der wöchentlichen Ruhezeit ausnimmt. Eine solche Verordnung ist bis zum heutigen Datum nicht zustande gekommen. Es ist auch nicht klar, ob stattdessen die Ausnahmeverordnungen zum Arbeitsruhegesetz herangezogen werden können (vgl. Pfeil in Grillberger, AZG3 § 12 Rz 12). Dagegen spricht, dass das Arbeitsruhegesetz einen anderen Geltungsbereich hat als § 12 Abs 3 AZG und die Ausnahmeverordnungen zum Arbeitsruhegesetz nur in diesem Geltungsbereich Wirkungen entfalten und insofern auf § 12 Abs 3 AZG keinen Einfluss ausüben können. Die Frage ist rein akademischer Natur, da § 12 Abs 3 AZG bei der Auflistung der mit Strafsanktion bewehrten Tatbestände (§ 28 AZG) schlichtweg fehlt!

Gemäß Art 5 der Arbeitszeitrichtlinie der EU (RL 2003/88/EG), der Österreich zur Sicherstellung einer 35-stündigen wöchentlichen Ruhezeit verpflichtet, ist der Gesetzgeber bis heute säumig, die beschriebene Gesetzeslage zu reparieren.

3. Branchenspezifische Verkürzungsmöglichkeit für Saisonbetriebe in der Hotellerie und Gastronomie und Entgeltforderungen

Das Arbeitsrechts-Änderungsgesetz 2015 (BGBl I 2015/152) hat eine branchenspezifische Verkürzungsmöglichkeit für Saisonbetriebe in der Hotellerie und Gastronomie gebracht (§ 12 Abs 2a und 2b AZG). Die ermächtigte Zulassungsquelle ist der Kollektivvertrag, und die Untergrenze, bis auf die verkürzt werden darf beträgt 8 Stunden. Der Unterschied („abweichend von Abs 2“) in dieser Sonderregelung besteht darin, dass die in Abs 2 angeordneten Kompensationsmaßnahmen (Ausgleich der Ruhezeitverkürzung innerhalb der nächsten 10 Kalendertage; Verkürzung auf unter 10 Stunden nur mit weiteren Erholungsmaßnahmen) durch eine andere, spezifische Kompensationsregelung ersetzt werden.

Ruhezeitkonto

Diese Kompensationsregelung sieht die Anlage eines Ruhezeitkontos für jeden Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin vor, auf dem oder die, die Ruhezeitverkürzungen gutzuschreiben (also zB bei einer 8-stündigen Ruhezeit ein 3-stündiges Ruhezeitguthaben) und über einen längeren als 10-tägigen Zeitraum hinweg anzusparen sind. Der Ausgleich hat dann „nach Möglichkeit während der Saison, jedenfalls aber im Anschluss an die Saison“ stattzufinden.

Saison/Saisonbetrieb

Unter „Saison“ und „Saisonbetrieb“ ist zu verstehen, dass

  • ein Saisonbetrieb entweder nur zu bestimmten Zeiten im Jahr geöffnet hat (Abs 2b Z 1), dann besteht die Saison aus eben diesen Perioden der Betriebsöffnung oder
  • der Saisonbetrieb hat in höchstens zwei Perioden jährlich eine soweit verstärkte Geschäftstätigkeit, dass dafür eine zusätzliche Personalaufnahme gegenüber dem Rest des Jahres erforderlich ist (dann besteht die Saison aus diesen ein bis zwei Perioden mit verstärkter Belegschaft).

Bei dieser Regelung geht es darum, im Interesse der Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin in Saisonbetrieben übliche geteilte Dienste (z.B. Frühstücksdienst, Mittag- und Abendessen bzw Barbetrieb in den Abend- und Nachtstunden) dadurch organisatorisch und betriebswirtschaftlich sinnvoll zu ermöglichen, dass zusammenhängend zwischen Abend- und Frühdienst nur 8 Stunden Ruhezeit gewährt werden müssen, ohne dass dies kurzfristig auszugleichen ist, und im Interesse der Arbeitnehmer/innen dies durch eine oder mehrere längere zusätzliche Freizeitphasen auszugleichen.

Die Alternative, eine solche Freizeitphase erst im Anschluss an die Saison zu konsumieren, entspricht einem arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Ansatz, nämlich der Verkürzung von Phasen der Arbeitslosigkeit durch eine entsprechende Verlängerung des Arbeitsverhältnisses und das Entgelt weiterbezahlt wird. Anders als der sonst typische Ausgleich bloß punktueller versäumter Ruhezeiten, der bei normalen Arbeitsverläufen ohnehin in vorhandenen Ruhezeiten stattfinden kann, ohne sich auf vorgesehene Arbeitszeiten auszuwirken, können die großen Ruhezeitguthaben, um die es hier geht, rechnerisch und sozialpolitisch sinnvoll nur so abgebaut werden, dass damit auch Arbeitsstunden und Arbeitstage entfallen (so wie dies bei der Verschiebung einer täglichen Ruhezeit in den folgenden Arbeitstag hinein der Fall ist). Um schwierige Auslegungsfragen und Konflikte um bezahlte bzw unbezahlte Ruhezeitausgleiche zu vermeiden, sind der oder die Arbeitgeber/in dahingehend zu beraten, in der Zulassung solcher Saisonmodelle für größtmögliche Klarheit zu sorgen.