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Johann Schöffthaler | News | 11.01.2016

Tagesdiäten oder Prämien – Verbot bestimmter Arten des Entgelts wegen arbeitssicherheitsrechtlicher Überlegungen

Gastautor Johann Schöffthaler erläutert in seinem Beitrag, welche Arten des Entgelts aufgrund von Sicherheitsüberlegungen gesetzlich nicht erlaubt sind und welche Ansprüche bestehen. Kann ein Arbeitgeber z. B. bezahltes Entgelt zurückfordern?

Grundlohn und Zulagen

Die Bezahlungspraxis im Transportwesen, insbesondere bei Berufskraftfahrern- und fahrerinnen, egal ob im Nah- oder Fernverkehr, egal ob mit Lastkraftwagen über 3,5 Tonnen oder PKW mit maximal 3,5 Tonnen höchstzulässigem Gesamtgewicht, hat als Grundlohn einen Kollektivvertrag und natürlich Zulagen. Diese Zulagen sind dabei ein wesentlicher Bestandteil des Gesamteinkommens und haben oftmals einen direkten Zusammenhang mit der Tätigkeit. Damit ist gemeint, dass der Anreiz zu guter Arbeitsleistung sehr oft durch bestimmte Prämien bzw Diäten gesteuert wird.

Früher bekam man als Lenker oder Lenkerin einen Schilling pro gefahrenen Kilometer pauschal bezahlt (der Autor spricht aus eigener Erfahrung durch seine 15jährige Tätigkeit als Fernfahrer in der Zeit von 1990 bis 2006, von denen ca 10 Jahre bei einer großen österreichischen Spedition geleistet wurden). Bei einer Kilometerleistung von ca 4500 km pro Woche war das damals ein sehr gutes Einkommen. Heute weichen viele Unternehmer und Unternehmerinnen auf Prämien und Tagesdiäten aus.

Prämien/Tagesdiäten

Unter Prämien versteht sich oft eine bestimmte Menge von zugestellten Paketen, Containern, Lademetern, Tonnen an Material, Anfahrten von Baustellen, das Einhalten von Zeitlimits bezüglich Zustellung und Abholung, etc.

Tagesdiäten sind eine bestimmte Geldsumme für bestimmte Gebiete, wobei die Höhe der Geldsumme mit der Entfernung steigt (man denke nur an die „rasenden“ Paketzusteller mit ihren überladenen Transportern!).

Arbeitssicherheit: Verbote von bestimmten Arten des Entgelts

§ 15c Arbeitszeitgesetz (AZG) und Artikel 10 der Lenkzeiten VO 561/2006 beschreiben das Verbot bestimmter Arten des Entgelts für Lenker von sonstigen (AZG) und verordnungspflichtigen Fahrzeugen (VO 561/2006). Beide Bestimmungen haben einen unmittelbaren Einfluss auf Schadenersatz- und Regressansprüche, welche sich seit der Novelle BGBl I 2006/138 in der eigenen Bestimmung § 15f im AZG finden. Die Regelung über Schadenersatz- und Regressansprüche gehört zu den gemeinsamen Bestimmungen des Unterabschnitts 4d im AZG und gilt damit gleichermaßen für die Lenker und Lenkerinnen von VO-Fahrzeugen und sonstigen Fahrzeugen. Interessanterweise ist in § 15f AZG explizit festgehalten, dass das Vorliegen einer verbotenen Entgeltvereinbarung einen Grund für die Minderung oder den gänzlichen Ausschluss von Ersatz- oder Regressansprüchen im Sinne des § 2 Absatz 2 Ziffer 4 und 5 Diensthaftungsgesetz (DHG) darstellt. Dazu aber noch später.

§ 15c AZG verbietet, dass sich die Höhe des Entgelts oder auch nur von Entgeltbestandteilen, wie etwa Prämien oder Zulagen, an der zurückgelegten Fahrtstrecke oder der Menge der beförderten Güter orientiert.

Artikel 10 der Lenkzeiten VO 561/2006 besagt, Verkehrsunternehmen dürfen angestellten oder ihnen zur Verfügung gestellten Fahrern und Fahrerinnen keine Zahlungen in Abhängigkeit von der zurückgelegten Strecke und/oder der Menge der beförderten Güter leisten, auch nicht in Form von Prämien oder Lohnzuschlägen, falls diese Zahlungen geeignet sind, die Sicherheit im Straßenverkehr zu gefährden und/oder zu Verstößen gegen diese Verordnung ermutigen.

Zweck dieser Normen ist, jeden ökonomischen Anreiz zu beseitigen, der den Fahrer oder die Fahrerin dazu verhalten könnte, zu Gunsten einer möglichst hohen Kilometerleistung, eines möglichst hohen Transportvolumens, der Einhaltung von Zeitlimits, oftmaliges Anfahren von Baustellen, der Anzahl der Paketzustellung, etc., Sicherheitsüberlegungen hintanzustellen oder gar auf die Sicherheit der übrigen Verkehrsteilnehmer und Verkehrsteilnehmerinnen bzw des Arbeitnehmers oder Arbeitnehmerin abzielende Rechtsvorschriften zu verletzen (Arbeits- und Lenkzeitenbeschränkungen, Geschwindigkeitsbegrenzungen usw.).

Ausgenommen vom Verbot sind nur solche Strecken- oder Mengenentgelte, die nicht geeignet sind, die Verkehrssicherheit zu beeinträchtigen. Vereinbarungen, die diese Bedingung tatsächlich erfüllen, sind für den Arbeitgeber und die Arbeitgeberin nicht interessant, weil der Anreiz zur Leistungssteigerung verloren geht.

Vereinbarungen, die gegen das gesetzliche Verbot des § 15c AZG oder Artikel 10 der Lenkzeiten VO 561/2006 verstoßen, sind gemäß § 879 ABGB nichtig. Auf Grund des Schutzzweckes der Norm erfasst die Nichtigkeit nur die entsprechende Entgeltsvereinbarung (Teilnichtigkeit), es ist davon auszugehen, dass das Arbeitsverhältnis in seinen übrigen Teilen gültig bleibt.

Rückforderung von bezahltem Entgelt?

Auf Grund der ungültigen Vereinbarung bereits bezahltes Entgelt kann der Arbeitgeber nicht zurückfordern. Nach dem zivilrechtlichen Grundsatz von Treu und Glauben ist es nicht akzeptabel, den Arbeitgeber bzw Arbeitgeberin, der den Arbeitnehmer bzw Arbeitnehmerin mit einer illegalen Vereinbarung zu höheren Arbeitsleistung drängen will und diese Leistungen, die seinen Gewinn erhöhen, auch bereits erhalten hat, im Nachhinein den finanziellen Leistungsanreiz rückfordern zu lassen. Insbesondere, da aus solchen Vereinbarungen durch den Leistungsdruck vor allem die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen profitieren. Diese Argumentation wird auch gestützt durch den allgemeinen Grundsatz des § 1174 ABGB (Allgemein bürgerliches Gesetzbuch):

„Was jemand wissentlich zur Bewirkung einer unmöglichen oder unerlaubten Handlung gegeben hat, soll er nicht wieder zurückfordern können.“

Im Gegenzug ist klar, dass dem Arbeitnehmer und der Arbeitnehmerin für die Zukunft nicht nur mehr das kollektivvertragliche oder sonstige Mindestentgelt zusteht (wie zB bei einer angefochtenen Kündigung oder Entlassung). In der Praxis wird in einer ergänzenden Vertragsauslegung ermittelt, was redliche Arbeitsvertragsparteien an die Stelle der nichtigen Entgeltvereinbarung bzw an die Stelle der Vereinbarung über den nichtigen Entgeltbestandteil gesetzt hätten. Man geht davon aus, dass die Parteien ein in gewissem Ausmaß über dem Durchschnittsentgelt der Branche und der Region liegendes Zeitlohnniveau vereinbart hätten. Überdurchschnittlich deshalb, weil offensichtlich beabsichtigt war, den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin nicht nur durchschnittlich, sondern besser zu entlohnen. Es liegt nicht im Sinn des § 15c AZG die Entgelthöhe zu beseitigen, sondern nur den Ansporn zu Leistungen, die die Allgemeinheit wie auch den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin selbst gefährden.

Der Sinn des § 15c AZG ist ein generalpräventiver Effekt

Wenn die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen damit rechnen müssen, im Streitfall zwar die illegale, zB auf Geschwindigkeitsübertretungen und Lenkzeitenüberschreitungen beruhende Mehrleistung zu verlieren, jedoch Schuldner eines erhöhten Entgelts zu bleiben, werden sie das Interesse an den verbotenen Entgeltvereinbarungen verlieren (in der Praxis wird bei einer Geltendmachung seitens der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen das Arbeitsverhältnis aufgelöst). Für diese an den Arbeitgeber adressierte Präventivwirkung spricht die Formulierung von § 15c Abs 1 AZG, die – den praktischen Gegebenheiten in diesem Arbeitsmarktsektor entsprechend – den Arbeitnehmer und der Arbeitnehmerin bei der Entgeltvereinbarung in einer passiven Rolle sieht und daher unmittelbar den Arbeitgeber anspricht: „Lenker dürfen nicht nach Maßgabe der zurückgelegten Strecke oder der Menge der beförderten Güter entlohnt werden …“.

Beendigungsansprüche und Stundenlohn

Somit ist für die Beendigungsansprüche (Abgeltung nicht verbrauchten Urlaubs, Abfertigung, Kündigungsentschädigung, etc.) auf die im Durchschnitt der letzten Zeit bezahlte Kilometer- bzw Tonnageentgelt, usw., zurückzugreifen, da diese Ansprüche gemäß dem Ausfallprinzip dem Gedanken der Perpetuierung der bisherigen Einkommenshöhe verpflichtet sind. Errechnet sich aus dem zuletzt erzielten Entgelt ein Stundenlohn, der unter dem durchschnittlichen Stundenlohn liegt, der von gesetzeskonform agierenden Arbeitgebern oder Arbeitgeberin in der Branche bezahlt wird, ist dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin unter dem Gesichtspunkt des von redlichen Parteien zu vereinbarenden Arbeitsvertragsinhalts der branchen- und regionalübliche Zeitlohn zuzugestehen.

Nun zum Zusammenhang mit dem Diensthaftungsgesetz:

Im § 15f AZG ist explizit festgehalten, dass das Vorliegen einer verbotenen Entgeltvereinbarung einen Grund für die Minderung oder den gänzlichen Ausschluss von Ersatz- oder Regressansprüchen im Sinne des § 2 Abs 2 Z 4 und 5 DHG darstellt. Anderes gilt nur, wenn der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin nachweisen kann, dass die Vereinbarung keinen Einfluss auf den Eintritt des Schadens oder die Schadenshöhe haben konnte – was ihm oder ihr bei einer Vereinbarung im Sinne des § 15c AZG nicht gelingen wird.