Dokument-ID: 603228

Johann Schöffthaler | News | 22.07.2013

Was hat Arbeitszeit mit einem rumänischen Zirkusmusiker zu tun?

Gastautor Johann Schöffthaler geht anhand einer OGH-Entscheidung der Frage nach, ob das Anziehen der Arbeitskleidung zur Arbeitszeit zählt und liefert hierzu auch Stellungnahmen verschiedener Institutionen (ZAI, Arbeiterkammer, ÖGB).

Sachverhalt

Ein rumänischer Zirkusmusiker, welcher bei einem Wiener Zirkus beschäftigt war, hat verschiedene geleistete Arbeitstätigkeiten als Arbeitszeit geltend gemacht und dies wurde bis zum Obersten Gerichtshof (OGH) ausjudiziert, mit folgendem Ergebnis:

Nach dem OGH-Urteil GZ OGH 9 0bA 89/02g vom 04.09.2002, ist das An- und Ausziehen der Dienstkleidung nicht als Arbeitszeit im Sinne des österreichischen Arbeitsrecht zu werten.

Viele Juristen und Juristinnen der verschiedensten Firmen begrüßten diese Entscheidung, haben aber nicht das ganze Urteil gelesen.

Hinsichtlich der Frage ob das Umziehen einer Dienstkleidung zur Arbeitszeit zählt oder nicht, gibt es verschiedene Zugänge, welche aufgrund einer Nachfrage meinerseits an die verschiedenen Stellen, folgend dargestellt werden:

1) Stellungnahme des Zentral-Arbeitsinspektorates (ZAI)

Die Stellungnahme des Zentral-Arbeitsinspektorates (ZAI) zu dieser Fragestellung besagt:

Die Arbeit beginnt sobald die Arbeitnehmer (aktiv) die Arbeit aufnehmen oder dem Arbeitgeber/der Arbeitgeberin dafür zur Verfügung stehen. Im Allgemeinen wird somit die Arbeitszeit mit dem Eintreffen am Arbeitsplatz beginnen (Grillperger, Arbeitszeitgesetz 3 [2011] § 2 Rz 3). Die allenfalls notwendige Vorbereitung, wie etwa das Anziehen einer speziellen Dienstkleidung, wird aufgrund einer Entscheidung des OGH grundsätzlich noch nicht zur Arbeitszeit gezählt (OGH 9 ObA 89/02g), es sei denn dass (etwa durch Kollektivvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelvertrag) Abweichendes vereinbart wurde oder Rechtsvorschriften anderes normieren.

Das ZAI führt dabei auch den Einzelvertrag an. Da in vielen Betrieben die Betriebsordnung (meist unter den Punkten Arbeitskleidung bzw Sauberkeit oder Hygiene) von jedem einzelnem/er Arbeitnehmer/in unterschrieben oder zur Kenntnis genommen werden muss, stellt diese, da alle wesentlichen Merkmale eines Vertrages vorhanden sind (vgl. Privatrechtliche Handlungsformen in der öffentlichen Verwaltung, Autor: Dr. Alois Schittengruber, Abteilungsleiter ABTEILUNG I/8: Rechts- und Vergabeangelegenheiten, Bundeskanzleramt, 2011, FH Campus Wien), somit einen Einzelvertrag dar. Bei Auslegung von Verträgen ist nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften, sondern die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (§ 914 Allgemein Bürgerliches Gesetzbuch – ABGB).

Das Wort Einzelvertrag oder Einzelvereinbarung muss nicht genannt werden.

Als Vergleich: Wenn ich etwas in einem Betrieb konsumiere oder kaufe und eine Quittung ausgestellt bekomme, ist dies ein Kaufvertrag, obwohl das Wort „Kaufvertrag“ nicht auf der Rechnung steht.

2) Stellungnahme der Arbeiterkammer in Wien

Eine Stellungnahme der Arbeiterkammer in Wien bzgl dieser Thematik lautet:

Sinngemäß lautet die Tendenz der Rechtsprechung, dass „Dienstkleidungen“ mit denen man sich verkehrsüblich auch in der Öffentlichkeit/Verkehrsmitteln bewegen kann, vom Arbeitgeber/von der Arbeitgeberin als „bei Dienstbeginn bereits tragend“ gewertet werden – also fällt zB das Anziehen der Arbeitshose (sofern nicht stark verschmutzt) durch Bauarbeiter nicht in die Arbeitszeit. Eine Uniform oder Dienstkleidung, die einem Betrieb zuordenbar ist, kann man kaum in der Öffentlichkeit, U-Bahn etc tragen, ohne dabei „herabgewürdigt“ zu erscheinen. Daher: Ankleidezeit ist bereits Arbeitszeit. Soweit eine Grobeinschätzung in aller Kürze.

3) Stellungnahme des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB)

Eine Stellungnahme des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) zu dieser Fragestellung kommt zu diesem Ergebnis:

Inhaltlich ergibt sich dasselbe Ergebnis wie die Arbeiterkammer, aber unter einem anderen Aspekt. Dieser Aspekt ergibt sich aus dem VwGH-Erkenntnis 92/18/0097 vom 29.06.1992, wonachdas Zeiterfassungssystem dort zu installieren ist, wo die Betriebsanlage betreten wird und der/die Arbeitnehmer/in sich somit im Verfügungsbereich des/der Arbeitgeber/in befindet (das wird sich beispielsweise schon daraus ergeben, wenn eine Stechuhr vorhanden ist, und die Umkleideräume erst nach Passieren der Stechuhr erreicht werden). Bei Vorhandensein eines Zeiterfassungssystems ist die erste „Arbeitshandlung“ das Einstempeln und die letzte „Arbeitshandlung“ das Ausstempeln; innerhalb dieses Zeitraums befindet sich der Arbeitnehmer im Verfügungsbereich des Arbeitgebers, unterliegt seinen Weisungen und hält sich zur Arbeit bereit. Diese Zeit ist daher als Arbeitszeit zu qualifizieren. D.h. der/die Arbeitnehmer/in stempelt sich ein, zieht sich um und begibt sich auf den Arbeitsplatz, somit ist das Umziehen in die Arbeitszeit einzubeziehen.Aber nach der zitierten Rechtsprechung zählt die Zeit, die ein/e Arbeitnehmer/in vor seinem/ihrem Eintreffen an der Arbeitsstätte zum Anziehen seiner/ihrer Arbeitskleidung benötigt, nicht zur Arbeitszeit (der Begriff der „Arbeitsstätte“ ist hier restriktiv zu sehen: Die Entscheidung betrifft einen Zirkusmitarbeiter, der vor seinem Auftritt eine Uniform anziehen muss).

Somit ergeben sich 3 verschiedene Begründungen (Einzelvertrag, AK Wien und ÖGB) dazu, dass das Umziehen einer Dienstkleidung, die einem Betrieb zuordenbar oder erkennbar machen, für welchen Betrieb man arbeitet, als Arbeitszeit zu werten ist (insbesondere wenn ein Zeiterfassungssystem vorhanden ist).

OGH und VwGH

Bezüglich der Darstellung seitens vieler Betriebe, dass nach dem OGH-Urteil GZ OGH 9 0bA 89/02g vom 04.09.2002, das An- und Ausziehen der Dienstkleidung nicht als Arbeitszeit im Sinne des österreichischen Arbeitsrecht zu werten ist, wird folgender Sachverhalt festgehalten:

1) Der Oberste Gerichtshof ist oberste Instanz in Zivil- und Strafsachen und damit das oberste Organ der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Er überprüft Entscheidungen von Oberlandesgerichten und Landesgerichten sowie, wenn es die Generalprokuratur beantragt, auch strafrechtliche Entscheidungen von Bezirksgerichten. Der Oberste Gerichtshof hat eine Leitfunktion: Auch wenn seine Entscheidungen für andere Verfahrenrechtlich nicht bindendsind, halten sich die Gerichte in der Regel daran. Der Oberste Gerichtshof trägt somit zu einheitlicher Rechtsanwendung bei (http://www.ogh.gv.at/de/ogh/der-oberste-gerichtshof.html vom 01.07.2013).

2) Im Gegensatz dazu ist nach Art 129 der Österreichischen Bundesverfassung der Verwaltungsgerichtshof in Wien zur Sicherung der Gesetzmäßigkeit der gesamten öffentlichen Verwaltung berufen. Er überprüft die Gesetzmäßigkeit von Bescheiden und bietet Rechtsschutz gegen die Untätigkeit der Verwaltung (http://www.vwgh.gv.at/gerichtshof/der_gerichtshof.html vom 01.07.2013).

Was hat jetzt das Arbeitsinspektorat damit zu tun?

Da arbeitsrechtliche Belange nicht in die Zuständigkeit der Arbeitsinspektion fallen, ist die einzige relevante Beurteilung für die Arbeitnehmer/innen, die Ihrer Vertretung, die der Arbeiterkammer.

Seitens des Arbeitsinspektorates ist nur die Feststellung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit von Belang, da gemäß § 26 Abs 8 Arbeitszeitgesetz, wonach wegen Fehlens von Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden die Feststellung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit unzumutbar ist,Verfallsfristengehemmt werden. Damit kann jede/r Arbeitnehmer/in die nicht vergütete Arbeitszeit der letzten 3 Jahre über die Arbeiterkammer geltend machen. Falls Arbeitszeiten nicht gerechnet wurden betrifft dies auch die Abgabe von Sozialleistungen gegenüber der Gebietskrankenkasse und auch die Abgabe von Lohnsteuer gegenüber dem Finanzamt.

Das Arbeitsinspektorat ist für das Privatrecht nicht zuständig. In arbeitsrechtlichen Verfahren ist die Arbeiterkammer die zuständige Instanz zur Vertretung der Belange der Arbeitnehmer/innen und somit ist deren Auslegung für mögliche Ansprüche die einzig relevante.

Offenbar verwundert es aber niemanden, dass es in diesem Fall unterschiedliche Rechtszugänge und damit unterschiedliche Rechtsauffassungen gibt. Aus der klassischen Sicht der Arbeitsinspektorate, die nicht überprüfen, ob die/der Arbeitnehmer/in korrekt für die geleistete Arbeitszeit entlohnt werden, sondern, ob es zB Arbeitszeitüberschreitungen gibt oder nicht, tendiert man eher dahin, dass das Umziehen nicht zur Arbeitszeit zählt, weil es dadurch auch weniger Arbeitszeitüberschreitungen gibt. Aus der Sicht des Arbeitsrechts wird man den genau gegenteiligen Zugang haben. Interessant ist nun, dass sich beide Denkschulen nunmehr in derselben Sektion des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz befinden.