07.09.2023 | Bau & Immobilien | ID: 1144986

Lohn- und Materialpreisänderungen beim ÖNORM B 2110-Vertrag

Ayo-Victor Hübl

Weltweit haben sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch die Corona-Pandemie, den Krieg in der Ukraine und die Inflation bedeutend verändert. Wie beeinflussen Lohn- und Materialpreisänderungen den ÖNORM B 2110-Vertrag?

Einzelne Branchen und Betriebe sind mit herausfordernden Produktions- und Lieferengpässen, außergewöhnlichen Materialpreissteigerungen und steigenden Personalkosten konfrontiert.

Beitrag zum Praxisseminar:

Ausführliche Informationen erhalten Sie in unserem aktuellen Praxisseminar „Bauverträge nach ÖNORM B 2110“.

Wer trägt das Risiko der höheren Lohn- und Materialkosten?

In Fällen, in denen die ÖNORM B 2110 oder A 2060 vereinbart werden, gelten die für Auftraggeber eher nachteiligen Risikotragungsregeln.

Der Auftraggeber trägt das Risiko für unvorhersehbare Ereignisse, die durch den Auftragnehmer nicht in zumutbarer Weise abwendbar sind (vgl ÖNORM B 2110, Punkt 7.2.1).

In der Sphäre des Auftragnehmers liegen nach den Bestimmungen der ÖNORM B 2110

  • das Kalkulationsrisiko,
  • alle Dispositionen des Auftragnehmers sowie
  • die vom Auftragnehmer gewählten Lieferanten und Subunternehmer.

Anderes gilt, wenn die ÖNORM B 2110 nicht vereinbart ist. Dann gelten die allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen des ABGB. Der Auftragnehmer trägt das Risiko für seine eigene und für die neutrale Sphäre (vgl § 1168 Abs 1 ABGB). Unter dem Begriff „neutrale Sphäre“ sind Umstände zu verstehen, die keiner Vertragspartei zurechenbar sind. Dazu zählen auch die Auswirkungen von Ereignissen (wie zB Krieg, Pandemien, Streiks, Terror, Unwetter, etc), die gemeinhin auch als „höhere Gewalt“ bezeichnet werden. Das heißt: Die nachteiligen Auswirkungen von unvorhersehbaren Ereignissen gehen bei einem ABGB-Vertrag zu Lasten des Auftragnehmers.

Preisschwankungen = Risiko des Auftragnehmers

Die Angebotskalkulation des Auftragnehmers fällt immer – sowohl nach den gesetzlichen Bestimmungen als auch nach ÖNORM B 2110 – in die Sphäre des Auftragnehmers.

Wenn vertraglich nichts anderes vereinbart wurde, trägt der Auftragnehmer damit das Risiko von Lohn- und Materialpreissteigerungen. Das bedeutet, dass der Auftragnehmer die vereinbarten Leistungen auch dann zum vereinbarten Preis zu erbringen hat, wenn das Geschäft im Nachhinein nicht so profitabel ist, wie er es ursprünglich kalkuliert hat.

Praxistipp:

  • Sorgfältige Prüfung der vertraglichen Risikoverteilung
  • Ausverhandlung passender Änderungen zur Verteilung des Risikos, zB durch Vereinbarung von branchenspezifischen Wertsicherungsklauseln
  • Nach Vertragsabschluss: Sammlung von Nachweisen für die Unvorhersehbarkeit und die unzumutbare Höhe des Preisanstiegs

Veränderliche Preise/Festpreise

Fraglich ist, wie mit unvorhersehbaren und unzumutbar hohen Preissteigerungen umzugehen ist. Die Problematik unvorhersehbarer und unzumutbarer Preissteigerungen ist besonders bei Festpreis-Verträgen gegeben. Bei einer Festpreisvereinbarung werden Preisschwankungen nicht ausgeglichen.

Bei einem ÖNORM-Vertrag gelten die Preise für Leistungen innerhalb von 6 Monaten nach Ende der Angebotsfrist als Festpreise; die Preise für darüberhinausgehende Leistungen sind veränderliche Preise.

Zur Verteilung des Risikos von Preisschwankungen empfiehlt es sich, veränderliche Preise zu vereinbaren. Dadurch kann der mit Lohn- und Materialpreissteigerungen verbundene Nachteil des Auftragnehmers ausgeglichen werden.

Sind veränderliche Preise vereinbart, enthält der Vertrag eine Preisanpassungsklausel mit branchenüblichen Indizes. Zudem werden ein Stichtag sowie ein Preisumrechnungsverfahren festgelegt, in welchen Abständen (zB jährlich, halbjährlich, monatlich) eine Preisanpassung zulässig ist.

Praxistipp:

  • Vor Vertragsabschluss: Sorgfältige Prüfung, ob veränderliche oder Festpreise vereinbart sind
  • Vorsicht beim Abschluss von Festpreisverträgen
  • Bei schlechter/unklarer Preisentwicklungslage lohnt sich die Vereinbarung einer branchenspezifischen Wertsicherungsklausel

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