19.06.2023 | Nachhaltigkeit | ID: 1137864

Kernenergie als nachhaltiger Energieträger?

Helmut Siller

Seit 01.02.2023 ist anzugeben, ob nachhaltige Tätigkeiten, in die investiert wird, mit Nuklearenergie/fossilem Gas zu tun haben. Ob Kernenergie als nachhaltig gelten kann, lesen Sie im Expertenkommentar.

Taxonomie-VO

Die 2020 beschlossene Verordnung (EU) 2020/852 (Taxonomie-Verordnung) schafft europaweit einheitliche Kriterien dafür, welche wirtschaftlichen Aktivitäten als ökologisch nachhaltig einzustufen sind und in welche somit künftig „klimafreundlich“ investiert werden kann.

Gemäß der Taxonomie-VO gilt eine Aktivität als nachhaltig, wenn sie

  • einen wesentlichen Beitrag zu einem oder mehreren Umweltziel/en leistet,
  • keines der anderen Umweltziele wesentlich beeinträchtigt,
  • in Übereinstimmung mit sozialen Mindestschutzmaßnahmen durchgeführt wird und
  • den von der Kommission festgelegten technischen Prüfkriterien entspricht.

Die EU-Kommission hat am 31.12.2021 in einem ergänzenden delegierten Rechtsakt zur Taxonomie-VO Kernenergie und fossiles Gas als ökologisch nachhaltig eingestuft. Österreich hat damals angekündigt, dagegen Nichtigkeitsklage beim EuGH einzureichen und tat dies im Okt. 2022.

Studien untermauern Österreichs Haltung

Das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Technologie und Innovation (BMK) hat 2020 eine Studie an der Wirtschaftsuniversität Wien beauftragt, eine objektive Beurteilung der Kernenergie im Zusammenhang mit den Kriterien der Taxonomie-VO vorzunehmen. Die Studie bestätigt die österreichische Position: Die Kernenergie erfüllt nicht die Taxonomie-Voraussetzung „Do No Significant Harm“ betreffend alle in der Taxonomie genannten Umweltziele.

Ein vom BMK bei der deutschen Rechtsanwaltskanzlei Redeker Sellner Dahs beauftragtes weiteres Rechtsgutachten bestätigte 2021, dass Kernenergie aus rechtlicher Sicht nicht den Anforderungen der Taxonomie-VO entspricht.

Nachhaltigkeit von Kernenergie – welche Gründe sprechen dagegen?

Die Autor*innen beider Gutachten führen vor allem folgende Gründe für ihre Ablehnung an:

  • In der Taxonomie-VO ist Kernenergie in der Liste jener Tätigkeiten, die einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten, nicht enthalten.
  • Kernenergie entspricht nicht den internationalen Sozialstandards, die im Rahmen der Taxonomie-VO vorausgesetzt werden.
  • Kernenergie kann iSd Taxonomie-VO weder als „ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeit“ noch als „Übergangstätigkeit“ angesehen werden.
  • Mangelnde Widerstandsfähigkeit der Kernenergie gegenüber Auswirkungen des Klimawandels.
  • Energieeffizienz und erneuerbare Energieträger tragen viel mehr zur Senkung von CO2-Emissionen bei als Kernenergie.
  • Massive Umweltrisiken der Kernenergie, die den Nachhaltigkeits-Kriterien der Taxonomie-VO entgegenstehen, konkret durch den Uranabbau, während des Betriebs durch die Risiken und das tatsächliche Eintreten schwerer Unfälle (z.B. Tschernobyl, Fukushima), in der Endlagerung von hochradioaktivem Atommüll und durch die Gefahr der Verbreitung von Kernwaffen.
  • Rechtsakte, die auf der Grundlage der Taxonomie-VO erlassen werden und Kernenergie in die europäische Taxonomie einbeziehen würden, wäre vor EU-Gerichten anfechtbar.

Wie geht es weiter?

Am 01.01.2023 trat die Delegierte Verordnung 2022/1288 (DelVO) in Kraft. Sie enthält wichtige Klarstellungen zur Offenlegungs-VO. Insbesondere bestimmt die DelVO, wie vorvertragliche und periodische Offenlegungspflichten zu erfüllen sind. Die Anhänge 2 bis 5 der DelVO enthalten dafür Vorlagen.

Am 17.02.2023 wurde eine Erweiterung der Offenlegungspflichten veröffentlicht (Delegierte Verordnung 2023/363). Demnach ist zusätzlich anzugeben und besonders hervorzuheben, ob bzw dass Teil der ökologisch nachhaltigen Tätigkeiten, in die investiert wird, auch Investitionen in Wirtschaftstätigkeiten sind, die mit Nuklearenergie oder fossilem Gas zu tun haben.

Das kommt der grundsätzlich ablehnenden Haltung Österreichs entgegen: Ohne ausdrücklichen Hinweis würde in Österreich wohl kaum jemand annehmen, dass unter ökologisch nachhaltigen Anlagen, Wertpapieren bzw Fonds auch solche zu verstehen sind, die zB in Kernenergie investieren.

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Autoreninfos

Hon. Prof. (FH) Mag. Dr. Helmut Siller, MSc

Tätigkeiten

Schwerpunkte: Controlling, Rechnungswesen, Risikomanagement, Wirtschaftskriminalität, Unternehmensethik, Gesundheitsmanagement.

Lehrbeauftragter an den Fachhochschulen Burgenland, St. Pölten, FH Wien der WKW sowie an der Donau-Universität Krems und der Paracelsus Medizinische Privatuniversität Salzburg.

Lebenslauf

Geb. 1958 in Wien, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler; promovierte 1984 mit dem Dissertationsthema „Grundsätze eines ordnungsmäßigen strategischen Controllings“ in Wien; 2012 Prof. (FH); 2009 Master of Science; 2017 Hon. Prof. (FH).

30 Jahre Berufserfahrung, davon: 2006–2012 Bereichsleiter und Lektor für Rechnungswesen und Controlling am Institut für Unternehmensführung der FH Wien der WKW; 1993–2006 Division Controller und Leitender QM-Beauftragter bei PaperlinX Austria GmbH. 

Seit 01.01.2013 selbstständiger Unternehmensberater und Trainer.

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