07.10.2020 | Ehe- und Familienrecht | ID: 1075210

Mittelpunkt der Lebensinteressen als Anspruchsvoraussetzung nach § 2 KBGG auf Kinderbetreuungsgeld

Eva-Maria Hintringer

Der OGH hat kürzlich zur Frage entschieden, ob der Mittelpunkt der Lebensinteressen eine Anspruchsvoraussetzung nach § 2 KBGG auf Kinderbetreuungsgeld darstellt.

Geschäftszahl

OGH 18.02.2020, 10 ObS 180/19x

Norm

§ 2 KBGG

Leitsatz

Quintessenz:

Der von § 2 KBGG für den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld geforderte Mittelpunkt der Lebensinteressen von Elternteil und Kind im Bundesgebiet liegt dann vor, wenn sich die Betreffenden ständig in Österreich aufhalten und zu Österreich die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen haben. Die abgabenrechtliche Fiktion des § 26 Abs 3 BAO für Auslandsbeamte ändert nichts an diesem Erfordernis und ist für die Beurteilung des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld nicht anzuwenden.

OGH: § 2 KBGG regelt die Anspruchsvoraussetzungen für das Kinderbetreuungsgeld. Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld besteht (neben anderen Voraussetzungen), sofern für dieses Kind Anspruch auf Familienbeihilfe nach dem FLAG besteht und der Elternteil und das Kind den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben (§ 2 Abs 1 Z 1 und Z 4 KBGG).

Nach der Rechtsprechung ist ein Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet dann anzunehmen, wenn sich eine Person ständig in Österreich aufhält und die Gesamtabwägung aller Umstände erbringt, dass diese Person zu Österreich die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat. Bei verheirateten Personen, die einen gemeinsamen Haushalt führen, besteht die stärkste persönliche Beziehung in der Regel zu dem Ort, an dem sie mit ihrer Familie leben.

Im Anlassfall hatte die Klägerin den Mittelpunkt der Lebensinteressen in Brasilien, blieb aber aufgrund völkerrechtlicher Bestimmungen während ihrer Versetzung an die österreichische Botschaft in Brasilien in Österreich steuer- und sozialversicherungspflichtig. Genau solche Fälle regelt § 26 Abs 3 BAO, wonach in einem Dienstverhältnis zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts stehende österreichische Staatsbürger, die ihren Dienstort im Ausland haben (Auslandsbeamte), wie Personen behandelt werden, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt am Ort der die Dienstbezüge anweisenden Stelle haben. Zweck dieser Bestimmung ist, bei Auslandsbeamten, die keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben, einen gewöhnlichen Aufenthalt zu fingieren, um eine unbeschränkte Steuerpflicht in Österreich zu begründen. Diese Fiktion ändert jedoch nichts daran, dass die ausschlaggebende stärkere persönliche Beziehung der Klägerin während des Anspruchszeitraums nach den dargestellten Kriterien zu Brasilien bestand.

Auch aus anderen Gründen ergibt sich, dass die in § 26 Abs 3 BAO normierte Fiktion nicht auf den Anwendungsbereich des KBGG zu übertragen ist. Die BAO gilt in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (§ 1 BAO) und sinngemäß in Angelegenheiten der von den Abgabenbehörden des Bundes zuzuerkennenden oder rückzufordernden bundesrechtlich geregelten Beihilfen aller Art (§ 2 lit a BAO). Anders als die Familienbeihilfe, für die § 26 Abs 3 BAO sehr wohl gilt, weswegen die Klägerin auch Anspruch auf sie hatte, zählt das Kinderbetreuungsgeld nicht zu diesen Beihilfen. Es fällt in die Zuständigkeit des gesetzlichen Krankenversicherungsträgers (§ 25a KBGG) und wird somit nicht von einer Abgabenbehörde des Bundes nach den Bestimmungen der BAO zuerkannt oder zurückgefordert.

Dass § 26 Abs 3 BAO bei der Entscheidung über Ansprüche auf Kinderbetreuungsgeld nicht anzuwenden ist, ergibt sich auch aus § 25a KBGG, der für das Verfahren in Angelegenheiten des Kinderbetreuungsgelds (taxativ) auf die für Leistungssachen der Krankenversicherungsträger geltenden Bestimmungen des ASVG, GSVG, BSVG und des B-KUVG, nicht aber auf die BAO verweist.

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