02.03.2021 | Zivilrecht | ID: 1085374

Zur Freiheitsbeschränkung eines Heimbewohners wegen Gefahr einer COVID-19-Infektion

Stanislava Doganova

Eine Einzelisolierung eines Heimbewohners in einem Zimmer ist unstrittig eine Freiheitsbeschränkung im Sinne des § 3 Abs 1 HeimAufG. Ist das wegen Verdacht auf eine COVID-19-Infektion gerechtfertigt?

Geschäftszahl

OGH 23.09.2020, 7 Ob 151/20m

Norm

§ 4 HeimAufG, § 3 Abs 1 HeimAufG

Leitsatz

Quintessenz:

Eine Einzelisolierung eines Heimbewohners in einem Zimmer ist unstrittig eine Freiheitsbeschränkung im Sinne des § 3 Abs 1 HeimAufG. Eine solche Freiheitsbeschränkung darf nach § 4 HeimAufG nur dann vorgenommen werden, wenn sie zur Abwehr einer Fremdgefahr unerlässlich und geeignet sowie in ihrer Dauer und Intensität im Verhältnis zur Gefahr angemessen ist und diese Gefahr nicht durch andere Maßnahmen, insbesondere schonendere Betreuungs- oder Pflegemaßnahmen, abgewendet werden kann.

OGH: Es handelt sich hierbei um einen Heimbewohner, der an schwerer Demenz leidet und nach einem Außenkontakt einen Fieberschub bekam Aufgrund seiner kognitiven Einschränkung konnte er die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen der Quarantäne nicht erfassen und diese nicht einhalten, auch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und die Einhaltung eines Mindestabstands war ihm deshalb nicht möglich. Aufgrund seiner Erkrankung ist er ebenso unfähig, dem Gang einer Verhandlung zu folgen

Um der Nichteinhaltung der Vorschriften der Quarantäne vorzubeugen, erfolgte für einen Zeitraum von 14Tagen eine Einzelbetreuung und Isolierung in einem Zimmer, obwohl der Corona-Test negativ ausfiel. Zusätzlich wurde eine Sensormatte vor dem Bett des Bewohners angebracht, um einerseits seiner Sturzgefährdung entgegenzuwirken und andererseits zur Benachrichtigung des Personals, dass er allenfalls den Quarantänebereich verlassen möchte.

Da der Bewohner nicht an der mündlichen Verhandlung aufgrund seines Zustandes teilgenommen hat, wurde eine Verletzung des rechtlichen Gehörs erwogen. Im Außerstreitverfahren kann eine „Nichtigkeit“ des Verfahrens erster Instanz wegen der ausdrücklichen Anordnung in § 66 Abs 1 AußStrG und des Fehlens einer § 519 ZPO vergleichbaren Bestimmung in dritter Instanz neuerlich geltend gemacht werden.

Von einer Ladung des Bewohners darf grundsätzlich nicht abgesehen werden. Wird dem Bewohner die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verwehrt, so kann dies nach 7 Ob 101/13y dann zu einer „Nichtigkeit“ des Verfahrens nach § 58 Abs 1 Z 1 (iVm § 66 Abs 1 Z1) AußStrG führen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass dadurch relevante Verfahrensergebnisse erzielt worden wären. Der Anfechtungsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs wirkt also im Außerstreitverfahren nicht – wie die Nichtigkeitsgründe der ZPO – absolut. Er kann vielmehr nur dann zu einer Aufhebung führen, wenn er sich zum Nachteil des Rechtsmittelwerbers auswirken konnte (RS0120213).

Die Vertretung des Heimbewohners rügte außerdem eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes und aus der unterbliebenen Einholung eines Pflegegutachtens sowie eines medizinisch-psychiatrischen Gutachtens wurden weitere Mängel des Verfahrens abgeleitet. Der Grundsatz, wonach Mängel erster Instanz, die vom Rechtsmittelgericht verneint wurden, nicht mehr wirksam in dritter Instanz aufgegriffen werden können, ist dann nicht anzuwenden, wenn das Rechtsmittelgericht infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hat. Dann läge nämlich ein Mangel des Rechtsmittelverfahrens selbst vor, der gegebenenfalls zu einem Feststellungsmangel führen und in dritter Instanz mit Rechtsrüge geltend gemacht werden könnte (vgl RS0043086).

Des Weiteren wurde die Isolierung des Bewohners in seinem Zimmer im Zuge des Verfahrens behandelt. Eine Einzelisolierung in einem Zimmer ist unstrittig eine Freiheitsbeschränkung im Sinne des § 3 Abs 1 HeimAufG. Eine solche Freiheitsbeschränkung darf nach § 4 HeimAufG nur dann vorgenommen werden, wenn sie zur Abwehr einer Fremdgefahr unerlässlich und geeignet sowie in ihrer Dauer und Intensität im Verhältnis zur Gefahr angemessen ist und diese Gefahr nicht durch andere Maßnahmen, insbesondere schonendere Betreuungs- oder Pflegemaßnahmen, abgewendet werden kann. In einer Einrichtung mit betagten Bewohnern und einem damit erhöhten Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf nach einer COVID-19-Infektion kann die Einzelisolierung eine nach § 4 HeimAufG zulässige Freiheitsbeschränkung sein, selbst dann, wenn aufgrund hohen Fiebers nur ein Infektionsverdacht vorliegt und der Corona-Test negativ aufsfielt. Denn laut OGH sei das Testergebnis nur zu 32 bis 63 Prozent zuverlässig und die übrigen Heimbewohner seien mit einem Durchschnittsalter von 84 Jahren besonders vulnerabel und gefährdet.

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