06.12.2023 | Arbeitssicherheit & Brandschutz | ID: 1152298

Retrofit und die neue Maschinenverordnung (MVO)

Stefan Krähan

Im Juli 2023 wurde eine neue Inverkehrbingervorschrift für Maschinen veröffentlicht. Diese Vorschrift ist eine europäische Herstellerverordnung und tritt nach einer Übergangfrist von 42 Monaten am 20. Jänner 2027 in Kraft.

Bei einer europäischen Verordnung ist keine Notwendigkeit gegeben, diese in nationales Recht zu überführen.

Länderübergreifende Anforderungen

Die Maschinenverordnung 2023/1230 wird die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG bzw die in Österreich umgesetzte MSV 2010 Anfang 2027 ablösen. Die europäische Maschinenverordnung 2023/1230, die aufgrund der neuen Technologien erforderlich wurde, behandelt auch die Themen der Digitalisierung, Cyber Security und künstlichen Intelligenz. Darüber hinaus wird in dieser gesetzlichen Vorschrift das Thema Umbau bzw Retrofit behandelt. Das ist eine wesentliche Neuerung, da der Umbau bzw die Änderung einer bestehenden Maschine bislang in den Verantwortungsbereich des Anwenders fiel.

Bisher wurde der Umbau in Österreich im §35 (2) des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (AschG) gesetzlich geregelt. In Zukunft wird der Umbau bzw die wesentliche Änderung in der europäischen Maschinenverordnung 2023/1230 europäisch einheitlich geregelt. Das Ablaufschema, das in der europäischen Verordnung enthalten ist, lehnt sich an das Interpretationspapier vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Deutschland an. Demzufolge müssen die jeweiligen nationalen Regelungen zum Umbau, Retrofit bzw zur wesentlichen Änderung im Jahr 2027 zurückgezogen werden. Es ist außerdem erforderlich, dass gesetzliche Änderungen im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) erfolgen.

Es gibt einen großen Vorteil, da in Zukunft dieses Thema der wesentlichen Änderung, des Umbaus bzw Retrofits in der europäischen Maschinenverordnung 2023/1230 enthalten ist: Es wird eine einheitliche Sichtweise zum Thema des Umbaus geben und Interpretationsbereiche bzw unterschiedliche länderspezifische Anforderungen werden dadurch wegfallen. Wann spricht man aber in der Praxis von Retrofit? Und mit welchen Folgen ist für den Betrieb bzw das Unternehmen in Zukunft zu rechnen?

Geänderte Anforderungen an das Retrofit

Ein klassisches Retrofit in der Industrie bezeichnet die Modernisierung bzw den Ausbau bestehender Maschinen, Anlagen und Betriebsmittel. Ziele eines Retrofit sind

  • die Verlängerung der Lebensdauer,
  • Steigerung des Produktionsvolumens und der Produktqualität,
  • Optimierung der Energieeffizienz,
  • Erfüllung gesetzlicher Vorgaben (zB Emissionen und Arbeitssicherheit) oder
  • das Sicherstellen der Versorgung mit Ersatzteilen.

Hierzu werden bspw Baugruppen getauscht, für die keine Ersatzteile mehr verfügbar sind oder es werden (neue) Steuerungs- und Automatisierungssysteme installiert. Mit dem Ziel der Energieeinsparung wäre ein klassisches Retrofit demnach bspw der Austausch von Motoren durch energieeffizientere Antriebe oder die Integration von Frequenzumrichtern.

Fertigungsanlagen sind häufig über eine Vielzahl an Jahren oder teilweise mehrere Jahrzehnte im Einsatz. Insbesondere im Sondermaschinenbau wäre eine Neukonstruktion und ein Neuaufbau einer bestehenden und lauffähigen Maschine wirtschaftlich nicht zweckmäßig, wenn die primäre Zusatzfunktionalität in der Möglichkeit zur Datenerfassung und -analyse besteht.

Retrofit und wesentliche Änderung

Wann man im Zuge eines Retrofits von einer wesentlichen Änderung spricht und welche Folgen damit verbunden sind, wird im Folgenden dargestellt. Zu den Aspekten einer wesentlichen Änderung im Rahmen des Retrofits zählen zB folgende Gründe:

  • Es kommt zu einer Erhöhung der Risiken durch den Umbau bzw des Retrofits und das bestehende Schutzkonzept bzw eine einfache trennenden Schutzeinrichtung reicht nicht aus, die Risiken zu bewältigen.
  • Es wird der Verwendungszweck der Ursprungsmaschine verändert.
  • Es werden Maschinen miteinander „tiefgreifend“ verkettet, sodass nach dem Umbau bzw des Retrofits eine neue Maschine entsteht.
  • Es wird eine Leistungserhöhung an der bestehenden Maschine vorgenommen, wobei es sich bei der Leistungserhöhung um eine Erhöhung der Antriebsleistung, der Stückzahl oder der Prozess bzw Zykluszeiten handeln kann.

Liegt einer dieser genannten Gründe und Aspekte vor, dann stellt das Retrofit bzw der Umbau an der Maschine eine wesentliche Änderung dar. Demzufolge ist eine neue CE-Kennzeichnung anzubringen, eine neue Konformitätserklärung auszustellen, und die technische Unterlage (Berechnungen, Zeichnungen, Werkstoffauswahl, Risikobeurteilung, Betriebsanleitung) zu erstellen.

Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass bislang ein Retrofit bzw ein Umbau im Anwenderrecht geregelt ist, weil der Betreiber mit diesem Thema zu tun hat. In Zukunft muss der Betreiber bzw derjenige, der das Retrofit durchführt, die Herstellervorschrift für seine Überlegungen bzw Vorgehensweise für den Umbau heranziehen. Bei einer wesentlichen Änderung wird der Betreiber zum Hersteller bzw Inverkehrbringer einer Maschine.

Eine weitere Änderung gibt es auch in der Form der Betriebsanleitung. Künftig dürfen Betriebsanleitungen auch elektronisch übermittelt werden. Ein Ausdruck ist nicht zwingende erforderlich, außer, wenn der Verwender auf eine Papierversion besteht.

Wesentliche Änderung und CE-Kennzeichnung

Wird zB ein bestehender Industrieroboter durch einen neuen Roboter im Rahmen eines Retrofits ersetzt, muss zunächst einmal überprüft werden, ob durch den neu installierten Robotertyp neue Gefährdungen existieren. Danach wird geprüft, ob eine Erhöhung des vorhandenen Risikos vorliegt. In jedem Einzelfall muss ermittelt werden, ob die Veränderungen an der Maschine sicherheitsrelevante Auswirkungen nach sich ziehen.

Wenn zB der Austauschroboter eine höhere Prozessgeschwindigkeit besitzt, kann es dadurch unter Umständen zu Gefährdungen kommen. Wenn eine neue Gefährdung bzw eine Erhöhung eines vorhandenen Risikos durch die höhere Geschwindigkeit vorliegt, wird geprüft, ob die vorhandenen Schutzmaßnahmen der Maschine weiterhin ausreichen.

Ist durch das bestehende Schutzkonzept die neue Gefährdung bzw die Risikohöhe ausreichend minimiert und erfüllt die Anlage alle Anforderungen der gesetzlichen Vorgaben, so liegt keine wesentliche Veränderung der Anlage vor. Dann ist auch kein neues Konformitätsbewertungsverfahren notwendig. Die vorhandene Gefahrenanalyse des Arbeitsplatzes und des Arbeitsmittels wird vom Betreiber entsprechend den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) angepasst.

Eine wesentliche Änderung trotz einer Erhöhung des Risikos liegt auch dann nicht vor, wenn durch eine einfache Schutzeinrichtung das Risiko bzw die Gefährdung eliminiert werden kann. Zu den einfachen Schutzeinrichtungen zählen feststehende trennende oder auch bewegliche trennende Schutzeinrichtungen und nicht trennende Schutzeinrichtungen, die nicht erheblich in die bestehende sicherheitstechnische Steuerung der Maschine eingreifen.

Kann eine ausreichende Risikominderung nicht durch diese einfachen Schutzeinrichtungen erreicht werden und greifen nach einem Umbau bestehende Sicherheitskonzepte nicht mehr, die innerhalb der Konformitätsbewertung der Maschinenhersteller ausgearbeitet wurden, liegt eine „wesentliche Veränderung“ vor. Der Maschinenbetreiber wird damit zum Hersteller. Er muss die Maschine wie ein neues Produkt behandeln und das gesamte Verfahren zur Erlangung der EG-Konformität durchlaufen. Dazu gehört auch die Erstellung aller hierfür notwendigen Dokumente.

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