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Georg Streit - Nikolaus Sauerschnig | News | 06.09.2021

COVID-19: (Wann) dürfen arbeitsrechtliche Konsequenzen gegen nicht geimpfte DienstnehmerInnen gesetzt werden?

Mag. Georg Streit und Mag. Nikolaus Sauerschnig erläutern näher, wie arbeitsrechtlich im Betrieb mit DienstnehmerInnen, die sich nicht impfen lassen wollen, umgegangen werden kann. Ist eine Kündigung in bestimmten Fällen gerechtfertigt?

Weiterhin ist eines der diese Zeiten beherrschenden und am meisten diskutierten Themen die Impfung gegen COVID-19. Für Dienstgeber stellt sich die Frage, wie mit Dienstnehmern umgegangen werden darf, wenn sich diese gegen eine Impfung aussprechen. Können arbeitsrechtliche Konsequenzen gesetzt werden? Wenn ja, welche? Ist eine Kündigung oder sogar eine Entlassung gerechtfertigt? Im Folgenden liefern wir eine Darstellung der arbeitsrechtlichen Schritte, die Dienstgeber setzen dürfen bzw nicht dürfen.

Impfpflicht

Dienstnehmer können (abgesehen von einigen Spezialfällen, vor allem im Gesundheitsbereich und im Bereich der Bediensteten der öffentlichen Hand) vom Dienstgeber im Regelfall nicht dazu gezwungen werden, sich impfen zu lassen. Einigkeit besteht, dass Dienstnehmer nicht zwangsgeimpft werden dürfen.

Die Vornahme einer Impfung stellt nach vorherrschender Ansicht einen Eingriff in das Recht auf Privatleben gemäß Art 8 EMRK dar. Ein solcher Eingriff muss immer sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig sein. Dabei sind die Interessen des Dienstgebers, das Infektionsrisiko von Dienstnehmern am Arbeitsplatz zu minimieren und so Schäden für den Betrieb abzuwehren, gegenüber den Interessen der Dienstnehmer, der Schutz deren körperlichen Integrität und deren Persönlichkeitsrechte, abzuwägen. Nach überwiegender Ansicht überwiegen im Regelfall dabei die Interessen der Dienstnehmer, sodass eine Impfpflicht im Betrieb nicht angeordnet werden kann.[1]

Dass Dienstgeber ihre Dienstnehmer nicht dazu verpflichten können, sich impfen zu lassen, bedeuten in der Folge, dass Dienstnehmer ihre Dienstpflicht nicht verletzen, wenn sie sich nicht impfen lassen. Da nämlich eine solche Anordnung gar nicht zulässig wäre, kann gegen diese auch nicht verstoßen werden. Dies schränkt die Möglichkeiten der infrage kommenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen natürlich ein.

Entlassung

Entlassung ist die sofortige Auflösung des Dienstverhältnisses durch den Dienstgeber bei Vorliegen eines wichtigen Grundes. Das Gesetz enthält beispielsweise in § 27 AngG eine demonstrative Aufzählung von möglichen Entlassungsgründen. All diesen Gründen ist gemein, dass sie einerseits die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses verlangen und dass der Entlassungsgrund in der Person des Dienstnehmers liegen muss, der in der Regel ein pflichtwidriges Verhalten gesetzt hat.

Eben an einem solchen Verhalten scheitert es aber in diesem Fall. Denn da weder eine gesetzliche Impfpflicht besteht noch (daher) eine Impfpflicht im Betrieb angeordnet werden darf, setzt ein die Impfung verweigernder Dienstnehmer kein Fehlverhalten. Ein wichtiger Grund, der zur Entlassung berechtigen würde, scheidet daher aus. Die Verweigerung der Impfung berechtigt den Dienstgeber daher nicht zur Entlassung.

Abmahnung

Ähnlich verhält es sich mit der Abmahnung. Die Abmahnung stellt vor allem im Vergleich zu einer Entlassung oder auch Kündigung eine nicht so weit reichende Konsequenz dar, da die Abmahnung nicht dazu dient, das Dienstverhältnis zu beenden.

Sinn und Zweck der Abmahnung ist es, den Dienstnehmer, der ein Fehlverhalten gesetzt hat, für dieses zu verwarnen und ihn so zu maßregeln. Dies setzt aber ebenso ein vorangegangenes Fehlverhalten voraus, was aber, wie oben ausgeführt, nicht gegeben ist. Auch eine Abmahnung scheidet daher aus.

Kündigung

Im Gegensatz zur Entlassung bedarf die Kündigung keines wichtigen Grundes. Jedoch sind auch bei einer Kündigung einige Dinge im Zusammenhang mit einer Beendigung des Dienstverhältnisses wegen Verweigerung der Impfung zu beachten:

Zunächst stellt sich die Frage, ob eine aus diesem Grund ausgesprochene Kündigung sittenwidrig sein könnte. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Kündigung dann sittenwidrig, wenn der Dienstgeber von seinem Kündigungsrecht aus gänzlich unsachlichen und insbesondere aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes zu missbilligenden Motiven Gebrauch macht.[2] Beispiel dafür sind etwa, wenn der Dienstnehmer aufgrund seines Religionsbekenntnisses oder seiner politischen Einstellung gekündigt wird. Inhaltlich liegt eine Sittenwidrigkeit somit vor, wenn eine Interessensabwägung eine grobe Verletzung von rechtlich geschützten Interessen ergibt und/oder ein grobes Missverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen besteht.[3]

Dies ist aber bei einer Kündigung wegen Verweigerung der Impfung nicht der Fall. Denn die Kündigung eines nicht geimpften Dienstnehmers ist keineswegs gänzlich unsachlich bzw ist dadurch keine grobe Verletzung von rechtlich geschützten Interessen gegeben. Die Kündigung eines nicht geimpften Dienstnehmers kann nämlich dazu dienen, Schäden im Betrieb abzuwenden. Denn je mehr Dienstnehmer geimpft sind, desto geringer ist das Risiko einer Erkrankung mit COVID-19 am Arbeitsplatz bzw allfälliger Schäden für den Betrieb. Eine Sittenwidrigkeit einer solchen Kündigung scheidet unseres Erachtens daher aus.[4]

Ebenso handelt es sich auch nicht um eine (unzulässige) Motivkündigung. Eine solche liegt nämlich nur dann vor, wenn die Kündigung einem vom Gesetzgeber missbilligtes, verwerfliches Motiv zu Grunde liegt.[5] Aus denselben Gesichtspunkten, warum eine Sittenwidrigkeit nicht gegeben ist, scheidet auch eine Motivkündigung aus. Die Kündigung erfolgt nämlich nicht aufgrund der höchstpersönlichen Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, sondern ist, wie etwa auch bei einer Änderungskündigung, die Folge der Ablehnung des Angebots des Dienstgebers, das Dienstverhältnis mit der Vornahme einer Impfung fortzusetzen und der daraus resultierenden Erhöhung der gesundheitlichen und ökonomischen Risiken im Betrieb.[6]

Im Fall des Ausspruchs einer Kündigung wegen fehlender Impfbereitschaft liegt daher weder eine sitten- noch eine motivwidrige Kündigung vor. Jedoch ist zu beachten, dass eine aus diesen Gründen ausgesprochene Kündigung sehr wohl sozialwidrig sein kann.

Sozialwidrige Kündigung

Eine Sozialwidrigkeit einer Kündigung ist gegeben, wenn durch die Kündigung wesentliche Interessen des Dienstnehmers beeinträchtigt sind (z. B.: drohende, lange Arbeitslosigkeit, Unfähigkeit die Lebenserhaltungskosten zu tragen).

Allerdings kann eine sozialwidrige Kündigung dennoch gerechtfertigt sein, wenn betriebsbedingte Gründe und/oder in der Person des Dienstnehmers gelegene Gründe vorliegen, die die Interessen des Betriebs nachteilig berühren.

Die Verweigerung der Impfung kann einen solchen in der Person des Dienstnehmers gelegenen Grund darstellen. Im Gegensatz zu den oben erwähnten Entlassungsgründen, müssen die personenbedingten Gründe nicht so gravierend sein, dass eine Weiterbeschäftigung des Dienstnehmers für den Dienstgeber unzumutbar wäre.[7] Auch müssen sie nicht dieselbe Intensität wie ein Entlassungsgrund erreichen, eine Weiterbeschäftigung für den Dienstgeber muss aber im erheblichen Ausmaß nachteilig erscheinen.[8]

Durch die fehlende Impfbereitschaft des Dienstnehmers steigt das Infektionsrisiko im Betrieb und damit auch das Risiko für den Dienstgeber, etwaiger Schäden für den Betrieb. Des Weiteren kann die Impfverweigerung, je nachdem um welche Tätigkeit es sich handelt, dazu führen, dass der Dienstnehmer nicht mehr so eingesetzt werden kann, wie dies noch vor COVID-19 der Fall war. Etwa bei einem Außendienstmitarbeiter, der täglich eine große Anzahl an Kunden besucht. In solchen Fällen steigt nämlich nicht nur das Infektionsrisiko im Betrieb selbst, sondern sogar Kunden sind mit einem erhöhten Infektionsrisiko konfrontiert. Dass Dienstgeber in solchen Fällen umso mehr darum bemüht sind, Risiken im Zusammenhang mit COVID-19 zu vermeiden, ist allein aus betriebswirtschaftlichen Gründen mehr als nachvollziehbar. In Anbetracht dieser Punkte kann daher die Verweigerung der Impfung eine sozialwidrige Kündigung rechtfertigen.[9]

In diesen Fällen ist aber besonders auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls Rücksicht zu nehmen. Liegen etwa Alternativen vor, wie der Dienstnehmer ohne Einschränkung im Vergleich zu seiner bisherigen Tätigkeit eingesetzt werden kann (z. B. Homeoffice), spricht dies wiederum gegen eine Rechtfertigung aus personenbezogenen Gründen. Ebenso spielt die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit eine Rolle. Sitzt der Dienstnehmer ohnehin den ganzen Tag in einem Einzelbüro und hat kaum Kontakt zu Kunden oder Kollegen, wird eine Kündigung wohl nicht gerechtfertigt sein. Im oben erwähnten Beispiel eines Außendienstmitarbeiters, dessen Tätigkeit hauptsächlich darin besteht, mit Kunden in Kontakt zu treten, kann aber eine Rechtfertigung durchaus gegeben sein.

Fazit

Aufgrund der weder gesetzlich vorgesehen noch betrieblich zulässigen Impfpflicht, stehen mögliche arbeitsrechtlichen Konsequenzen gegen nicht geimpfte Dienstnehmer nur sehr eingeschränkt zur Verfügung. Infrage kommt lediglich eine Kündigung, wobei hier der allgemeine Kündigungsschutz, insbesondere die Sozialwidrigkeit, dennoch zu berücksichtigen ist.

Sollte es aber zu einer gesetzlichen Impfpflicht kommen oder der Gesetzgeber Dienstgebern die Möglichkeit einräumen, eine betriebliche Impfpflicht anzuordnen, könnte sich die rechtliche Situation ändern. Dass ein solcher Umschwung zur Impfpflicht im Gange sein könnte, zeigt unter anderem auch eine aktuelle Entscheidung des EGMR.

Aktuelle Entscheidung des EGMR

So entschied der EGMR jüngst, dass eine Impfpflicht zum Schutz vor gefährlichen Krankheiten gerechtfertigt sein kann, um die notwendige Herdenimmunität zu erreichen oder zu erhalten. Dieser tschechische Fall betraf zwar „nur“ eine gesetzliche Verpflichtung der Eltern, ihre Kinder gegen neun bekannte Krankheiten impfen zu lassen, damit diese den Kindergarten besuchen dürfen, könnte jedoch weitere Auswirkungen haben. So könnte diese Entscheidung durchaus herangezogen werden, um etwa auch eine solche Impfpflicht für die Kindergartenpädagogen anzuordnen.

In Deutschland besteht eine ähnliche Verpflichtung im Zusammenhang mit der Masernimpfung.[10][11]

Weitere Beispiele

Ein weiteres Beispiel für ein strengeres Vorgehen gegen Nicht-Geimpfte zeigt sich auch in Österreich. Zuletzt haben sowohl die Medizinische Universität Innsbruck als auch die Medizinische Universität Graz entschieden, dass für den Antritt des Studiums eine vollständige Corona-Impfung erforderlich ist (in Graz ist der Studienantritt auch bei Genesung möglich). Gerechtfertigt wird dies damit, dass die Studierenden im Rahmen ihrer Ausbildung auch mit Patienten in Kontakt kommen und diese bestmöglich geschützt werden sollen.[12][13]

All diese Entwicklungen zeigen, dass auch im Bereich des Arbeitsrechts ein weitgehenderes Vorgehen gegen nicht Geimpfte nicht ausgeschlossen sein dürfte und sogar der Gesetzgeber eine Impfpflicht vorsehen oder eine Impfpflicht in Betrieben erlauben könnte.

Sollte dies der Fall sein und eine derartige Verpflichtung kommen, würde der Dienstnehmer bei fehlender Impfbereitschaft nämlich gegen gesetzliche und/oder betriebliche Anordnungen verstoßen und sohin pflichtwidrig handeln. Ein solches pflichtwidriges Handeln würde eine Abmahnung rechtfertigen und kann bei beharrlicher Verweigerung sogar einen Entlassungsgrund darstellen. Dass der Gesetzgeber aber einen derart drastischen Schritt setzt, ist wohl eher unwahrscheinlich.

Das Thema Impfplicht (bzw. Testpflicht) wird uns aber jedenfalls noch länger begleiten und zieht sich, wie zwei Fälle in Deutschland zeigen, sogar bis ins Familienleben. Unlängst musste sich das OLG Nürnberg mit einem Fall auseinandersetzen, in dem der Vater der Mutter den Umgang mit den gemeinsamen Kindern davon abhängig machen wollte, dass die Mutter vor jedem Kontakt einen negativen COVID-19-Test vorlegt. Das Gericht entschied hier zu Gunsten der Kindsmutter, weil auch die Pandemie keinen Grund darstelle, das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht der Antragstellerin auf Umgang mit ihren Kindern einzuschränken.[14]

In einem ähnlich gelagerten Fall kam das OLG Braunschweig zwar grundsätzlich zur selben Entscheidung, merkte aber in seiner Entscheidung an, dass eine Testung des umgangsberechtigten Elternteils gefordert werden kann, wenn die Voraussetzungen nach den von den Gesundheitsämtern vorgegebenen Richtlinien für das Durchführen eines COVID-19-Tests (z. B. das Vorliegen von COVID-19-Symptomen oder Kontakt mit einer erkrankten Person) gegeben sind.[15]

Autoren

Georg Streit ist Partner, Nikolaus Sauerschnig ist Rechtsanwaltsanwärter bei Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG (Wien).

Link auf die Website: https://www.h-i-p.at/

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Fußnoten:

Im Beitrag wird zur besseren Lesbarkeit die männliche Form gewählt. Die Angaben beziehen sich aber selbstverständlich auf Angehörige aller Geschlechter

[1] Für Näheres dazu, erlauben wir uns, auf unseren Artikel mit dem Thema „COVID-19: Test- und Impfpflicht in Betrieben? Zumutbar oder unzulässig?“ vom 10.6.2021 zu verweisen: https://www.weka.at/news/Recht-Steuern/Arbeitsrecht/COVID-19-Test-und-Impfpflicht-in-Betrieben-Zumutbar-oder-unzulaessig.

[2] RS0016680

[3]u.a. OGH 1 Ob 20/70; OGH 4 Ob 86/81; vgl auch Kietaibl/Rebhahn in Neumayr/Reissner, ZellKomm3, § 879 Rz 11; Grimm/Wolf, Verpflichtende Tests und Impfungen in der COVID-19-Pandemie aus arbeitsrechtlicher Sicht, JMG 1/2021, 8ff

[4] So auch Grimm/Wolf, Verpflichtende Tests und Impfungen in der COVID-19-Pandemie aus arbeitsrechtlicher Sicht, JMG 1/2021, 8ff; Hainz, Impfstatus im Arbeitsverhältnis, CuRe 2021/3

[5] Wolligger in Neumayr/Reissner, ZellKomm3, § 105 ArbVG Rz 78

[6] Grimm/Wolf, Verpflichtende Tests und Impfungen in der COVID-19-Pandemie aus arbeitsrechtlicher Sicht, JMG 1/2021, 8ff; Hainz, Impfstatus im Arbeitsverhältnis, CuRe 2021/3

[7] OGH 9 ObA 262/90

[8] OGH 9 ObA 272/97h

[9] Grimm/Wolf, Verpflichtende Tests und Impfungen in der COVID-19-Pandemie aus arbeitsrechtlicher Sicht, JMG 1/2021, 8ff; Hainz, Impfstatus im Arbeitsverhältnis, CuRe 2021/3

[10] Streit, Impfung gegen Masern, JMG 2020,4

[11] Streit, Masernimpfung in Deutschland (zumindest vorerst) zulässig, JMG 2020,66

[12] https://www.kleinezeitung.at/steiermark/6027410/Geimpft-oder-genesen_Med-Uni-Graz-plant-2GRegel-fuer-Studenten

[13] https://tirol.orf.at/stories/3118787/

[14] OLG Nürnberg 10 UF 72/21

[15] OLG Braunschweig, 1 UF 51/20