Dokument-ID: 010079

Judikatur | Entscheidung

2007/08/0105; VwGH; 14. April 2010

GZ: 2007/08/0105 | Gericht: VwGH vom 14.04.2010

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des EG in G, vertreten durch Mag. Helmut Hawranek, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Friedrichgasse 6/5/24, gegen den Bescheid des Bundesministers für Soziales und Konsumentenschutz vom 2. April 2007, Zl BMSG-322387/0001-II/A/3/2006, betreffend Pflichtversicherung nach dem GSVG (mitbeteiligte Partei:

Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft in 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde festgestellt, dass der Beschwerdeführer vom 17. Mai 1995 bis zum 31. Juli 1996 gemäß § 2 Abs 1 Z 3 GSVG der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung und vom 17. Mai 1995 bis zum 31. August 1995 und vom 13. Oktober 1995 bis zum 31. Juli 1996 der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung gemäß § 2 Abs 1 Z 3 iVm § 4 Abs 2 Z 3 GSVG „in der bis 31.12.1999 geltenden Fassung“ unterlegen sei.

Die belangte Behörde stellte als maßgebenden Sachverhalt fest, dass laut Firmenbuchauszug der M GmbH der Beschwerdeführer seit dem 10. Mai 1995 geschäftsführender Gesellschafter dieser Gesellschaft gewesen sei. Der Antrag auf Eintragung als Geschäftsführer sei am 17. Mai 1995 beim Firmenbuch eingelangt.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien habe gegen den Beschwerdeführer als Geschäftsführer der M GmbH Voruntersuchungen wegen des Verdachts auf fahrlässige Krida eingeleitet, doch seien diese in weiterer Folge eingestellt worden. In einer Vernehmung als Beschuldigter in jenem Verfahren habe der Beschwerdeführer am 31. Juli 1997 vor dem Bezirksgericht V (unter anderem) Folgendes zu Protokoll gegeben:

„Mein Halbbruder (L) sagte zu mir, ich könne in seinem Geschäft einer Baufirma mitarbeiten. Er sagte, es ‚passiere‘ mir nichts. Er nahm mich zu den Ämtern mit und sagte mir, ich solle mitunterschreiben. (L) und ich waren bei einem Anwalt, Notar und bei Ämtern. Ich kenne mich bei solchen Dingen nicht aus und habe auch nur unterschrieben, da (L) mir sagte, es könne mir nichts passieren. Ich wusste, dass ich als Geschäftsführer eingetragen war.

(…) Ich wusste nicht, was ich alles unterschrieben habe, da mir mehrere Unterlagen vorgelegt wurden. Ich weiß nicht, ob die handelsrechtlichen Bücher und die Grundaufzeichnungen der M GmbH ordnungsgemäß und vollständig ausgefüllt wurden. Ich hatte keinen Einblick. Ich kenne mich in solchen Angelegenheiten überhaupt nicht aus. Ich weiß nicht, wo sich die Unterlagen derzeit befinden.

(…) Ich wurde nur für Unterschriften gebraucht. Welche Aufträge angenommen wurden und auch andere Entscheidungen trafen (L und M). Ich arbeitete wie ein ‚normaler Bauarbeiter' und erhielt jede Woche meinen Lohn.“

Laut fachärztlichem Gutachten der Magistratsabteilung 15 (der Stadt Wien) vom 14. Dezember 2004 habe beim Beschwerdeführer bei bereits gegebener neuropsychiatrischer Vorschädigung bis zum Sommer des Jahres 1998 eine schwere Alkoholabhängigkeit bestanden, die damals auch schon gravierende Organschäden zur Folge gehabt habe. Nach diesem Gutachten könne eine erhebliche Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten und sozialen Kompetenzen angenommen werden und auch „derzeit“ (zum Zeitpunkt der Gutachtenserstellung) lasse sich nach mehrjähriger Abstinenz noch ein kognitives Defizit im Sinne eines organischen Psychosyndroms feststellen. Angesichts der schweren psychoorganischen Beeinträchtigung könne, so das fachärztliche Gutachten, für den fraglichen Termin (28. April 1998) eine massive Einschränkung der Einsichts- und Handlungsfähigkeit angenommen werden; Geschäftsfähigkeit sei aus fachärztlicher Sicht nicht gegeben gewesen.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer die formalen Voraussetzungen der Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Z 3 GSVG insofern erfüllt habe, als er im Firmenbuch als geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH, die eine Gewerbeberechtigung innehabe, eingetragen gewesen sei. Die Geschäftsführereigenschaft eines Gesellschafters sei ein formalisiertes Merkmal der Versicherungspflicht. Es sei daher nicht maßgebend, was im Innenverhältnis vereinbart worden sei. Abgesehen davon sei schon zur Wahrung der Anwartschaften aus der Pensionsversicherung („so die Beiträge bezahlt sind“) und des Versicherungsschutzes in der Krankenversicherung kein Durchgriff auf die „wahren Verhältnisse“, nach denen der Halbbruder des Beschwerdeführers tatsächlich die Geschäfte geführt habe, vorzunehmen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Die mitbeteiligte Partei nahm ebenfalls von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. § 2 GSVG in der im Beschwerdefall maßgebenden Fassung BGBl Nr 336/1993 lautet auszugsweise:

„§ 2. (1) Auf Grund dieses Bundesgesetzes sind, soweit es sich um natürliche Personen handelt, in der Krankenversicherung und in der Pensionsversicherung nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen pflichtversichert:

1. die Mitglieder der Kammern der gewerblichen Wirtschaft;

2. (…)

3. die zu Geschäftsführern bestellten Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, sofern diese Gesellschaft Mitglied einer der in Z.1 bezeichneten Kammern ist und diese Personen nicht bereits aufgrund ihrer Beschäftigung als Geschäftsführer der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz unterliegen oder aufgrund dieser Pflichtversicherung Anspruch auf Kranken- oder Wochengeld aus der Krankenversicherung nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz haben, auch wenn dieser Anspruch ruht, oder auf Rechnung eines Versicherungsträgers Anstaltspflege erhalten oder in einem Genesungs-, Erholungs- oder Kurheim oder in einer Sonderkrankenanstalt untergebracht sind oder Anspruch auf Ersatz der Pflegegebühren gemäß § 131 oder § 150 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes einem Versicherungsträger gegenüber haben. (…)“

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes knüpft die Pflichtversicherung der in § 2 Abs 1 Z 3 GSVG genannten Personen an das Formalkriterium der Bestellung zum Geschäftsführer an und ist unabhängig davon, ob der Geschäftsführer faktisch tätig wird oder ob er aus der Geschäftsführertätigkeit ein Entgelt bezieht (vgl etwa das hg Erkenntnis vom 4. Juni 2008, Zl 2005/08/0166).

3. Der Beschwerdeführer macht in der Beschwerde – wie bereits im Verwaltungsverfahren vorgebracht – zusammengefasst geltend, dass er im relevanten Zeitraum geschäftsunfähig gewesen sei. Er sei damit nicht der Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Z 3 GSVG unterlegen. Wie im angefochtenen Bescheid festgestellt, habe bei ihm bei bereits gegebener neuropsychiatrischer Vorschädigung bis zum Sommer des Jahres 1998 eine schwere Alkoholabhängigkeit bestanden, die bereits damals gravierende Organschäden und eine erhebliche Beeinträchtigung der kognitiven und sozialen Kompetenzen zur Folge gehabt habe, sodass Geschäftsfähigkeit aus fachärztlicher Sicht nicht gegeben gewesen sei. Die belangte Behörde habe zwar im Wesentlichen festgestellt, dass der Beschwerdeführer geschäftsunfähig gewesen sei, habe dies aber unter Hinweis auf die Geschäftsführereigenschaft als formalisiertes Merkmal der Versicherungspflicht als bedeutungslos angesehen.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:

Gemäß § 15 Abs 1 GmbHG können zu Geschäftsführern einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung nur physische, handlungsfähige Personen bestellt werden.

Die Bestellung eines Geschäftsunfähigen zum Geschäftsführer ist unwirksam (Koppensteiner/Rüffler, GmbHG³, § 15 Rz 15; Straube/Ratka/Völkl, Wiener Kommentar zum GmbH-Gesetz, 9. Lfg 2008, § 15 Rz 11). Bei nachträglichem Eintritt der Geschäftsunfähigkeit eines (wirksam bestellten) Geschäftsführers endet dessen Organstellung, auch wenn die Eintragung des Endes der Vertretungsmacht in das Firmenbuch unterblieben ist (vgl den Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 28. November 2000, 1 Ob 137/00d).

War der Beschwerdeführer daher zum Zeitpunkt des Gesellschafterbeschlusses über seine Bestellung zum Geschäftsführer geschäftsunfähig oder ist seine Geschäftsfähigkeit nachträglich während des Zeitraums der von der belangten Behörde festgestellten Pflichtversicherung weggefallen, so liegt das nach § 2 Abs 1 Z 3 GSVG relevante „formalisierte Merkmal“ der Geschäftsführereigenschaft nicht vor bzw ist diese Geschäftsführereigenschaft nachträglich weggefallen.

4. Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren unter Hinweis auf das auch von der belangten Behörde auszugsweise wiedergegebene und ihren Feststellungen zugrundegelegte fachärztliche Gutachten vorgebracht, dass er im verfahrensgegenständlichen Zeitraum geschäftsunfähig gewesen sei.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen kann dem angefochtenen Bescheid zwar eine Feststellung der belangten Behörde, wonach in diesem Zeitraum Geschäftsunfähigkeit vorgelegen sei, nicht entnommen werden, zumal sich das herangezogene fachärztliche Gutachten auf einen Zeitpunkt bezog, der erst nach dem Zeitraum der festgestellten Pflichtversicherung liegt. Allerdings hätte die belangte Behörde aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers und des fachärztlichen Gutachtens die Frage der Geschäftsfähigkeit des Beschwerdeführers im verfahrensgegenständlichen Zeitraum eigenständig zu prüfen gehabt (vgl auch das hg Erkenntnis vom 19. Dezember 2007, Zl 2006/08/0039, zur Geschäftsfähigkeit als Voraussetzung der Gewerbeanmeldung und damit der Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Z 1 GSVG).

Die belangte Behörde hat dies, ausgehend von einer unzutreffenden Rechtsansicht, unterlassen. Sie hat damit den angefochtenen Bescheid mit einem sekundären Verfahrensmangel belastet, sodass dieser gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl II Nr 455. Das die Pauschalgebühr betreffende Mehrbegehren war aufgrund der auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden sachlichen Gebührenfreiheit gemäß § 46 GSVG abzuweisen.

Wien, am 14. April 2010

Leitsätze