Dokument-ID: 969607

Judikatur | Entscheidung

6 Ob 215/16k; OGH; 26. September 2017

GZ: 6 Ob 215/16k | Gericht: OGH vom 26.09.2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch zeiler.partners Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei H*****, vertreten durch Dr. Stephan Winklbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung und Unterlassung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 17. August 2016, GZ 5 R 51/16h-28, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Die Beklagte ist als Gesellschafterin der klagenden Gesellschaft mbH, deren zweite Gesellschafterin eine Privatstiftung ist, mit einer Beteiligung von 1 % am Stammkapital im Firmenbuch eingetragen. Sie wurde mit Beschluss der Generalversammlung vom 30.11.2011 nach dem Gesellschafter-AusschlussG ausgeschlossen. Diesbezüglich ist ein Gerichtsverfahren anhängig.

Am 09.10.2014 brachte die von einem amerikanischen Rechtsanwalt vertretene Beklagte bei einem United States District Court elektronisch eine Klage unter anderem gegen die Klägerin, ihren geschiedenen Ehemann und Geschäftsführer der Klägerin sowie die direkte und indirekte amerikanische Tochtergesellschaft der Klägerin ein, wobei der Rechtsanwalt einen Antrag „under seal“ nicht stellte. Sie begehrt mit der Klage unter anderem gestützt auf den „Racketeer Influenced and Corrupt Organisations Act (RICO)“ Schadenersatz in Höhe von USD 500 Mio

Die US-Justizverwaltung stellte die Klage – wie jede bei einem Bundesgericht elektronisch eingebrachte Klage – über www.pacer.gov für die Öffentlichkeit bereit.

Am 13.02.2015 beantragte die Beklagte im Verfahren vor dem United States District Court die Genehmigung von außergerichtlichen Vernehmungen zu Beweissicherungszwecken. Sie brachte auch diesen Antrag nicht „under seal“ ein.

Die Klägerin begehrt mit ihrer am 14.11.2014 eingebrachten Klage zuletzt a) die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle Schäden aus oder im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der von der Beklagten am 09.10.2014 eingebrachten Klage und des von der Beklagten am 13.02.2015 eingebrachten Beweissicherungsantrags und b) die Unterlassung der Tätigung und/oder Verbreitung kreditschädigender Behauptungen über die Klägerin und/oder ihre Organe, insbesondere die Vorwürfe des Diebstahls, der Fälschung, des Betrugs, der Geldwäsche und/oder der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Hiezu stellte sie Eventualbegehren.

Das Berufungsgericht bestätigte das klagsabweisende Urteil des Erstgerichts. Das ausschließlich auf die Verletzung der gesellschaftlichen Treuepflicht der Beklagten gestützte Klagebegehren sei nicht begründet. Die Beklagte habe mit ihrer Klage deliktische Schadenersatzansprüche unter anderem gegenüber der Klägerin verfolgt. Dies könne ihr von der Klägerin nicht schlichtweg verboten werden. Es liege auch keine missbräuchliche Prozessführung im Sinn des § 1295 Abs 2 ABGB vor, fehlten doch ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass ein unlauteres Motiv der Rechtsausübung die lauteren Motive eindeutig überwiegen würde. Die Klägerin habe auch nicht bewiesen, dass 1. der zuständige Richter „under seal“ Anträgen und Schwärzungsanträgen stattgegeben hätte, 2. die Beklagte bzw ihre Vertreter die Klage noch vor Einbringung der Klage an Dritte, insbesondere Medien, übermittelt oder zugespielt haben und 3. mit der Klage Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse öffentlich bekannt gemacht worden wären. Soweit sich die Klägerin gegen die Verbreitung kreditschädigender Äußerungen in der Klage wende, übersehe sie, dass diese Vorwürfe die Anspruchsgrundlage der mit der Klage erhobenen deliktischen Schadenersatzansprüche darstellten und der Beklagten die Verfolgung vermeintlich zustehender Schadenersatzansprüche nicht untersagt werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision zeigt keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

1. Das Erstgericht traf die Feststellung, nicht feststellen zu können, ob der zuständige Richter des United States District Court einem Antrag der Beklagten auf Einreichung der Klage und des Beweissicherungsantrags „under seal“ stattgegeben hätte. Insoweit die Ausführungen der Revision auf eine Bekämpfung dieser und anderer vom Berufungsgericht übernommener Negativfeststellungen des Erstgerichts hinauslaufen, wird die nicht revisible Beweiswürdigung der Vorinstanzen bekämpft (RIS-Justiz RS0007236).

2. Die Berufung der Klägerin auf die Rechtsprechung, wonach für den Beweis der Kausalität einer Unterlassung pflichtgemäßen Handelns für den behaupteten Schaden die überwiegende Wahrscheinlichkeit genügt (RIS-Justiz RS0022900), übersieht, dass es keine Frage des Beweismaßes, sondern der Beweislast ist, zu wessen Lasten Negativfeststellungen ausschlagen (RIS-Justiz RS0037797; RS0039936). Der Standpunkt der Revision, der Beklagte habe die fehlende Schadenskausalität der Unterlassung zu beweisen, widerspricht der Rechtsprechung. Die Beweislast, dass bei gebotenem Verhalten der Schaden nicht eingetreten wäre, trifft den Geschädigten (RIS-Justiz RS0022900 [T5, T11]). Aus den in der Revision genannten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs 1 Ob 116/01t und 8 Ob 42/04s geht nichts anderes hervor. Erstere Entscheidung geht von einem erbrachten Beweis aus und betont doch auch letztere, dass die Behauptungs- und Beweislast für einen Kausalzusammenhang zwischen dem behaupteten rechtswidrigen Verhalten und dem eingetretenen Schaden stets den Geschädigten trifft, auch wenn es sich um eine Unterlassung handelt.

3. Ob ein bestimmtes Verhalten eines Gesellschafters einer GmbH gegen seine Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft (vgl RIS-Justiz RS0026106; RS0059651; RS0061585; S.-F. Kraus/U. Torggler, GmbHG § 61 Rz 35 f) verstößt, hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0060175 [T3]). Es ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (RIS-Justiz RS0026106 [T4]). Regelmäßig handelt es sich dabei um keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (6 Ob 106/12z).

3.1. Nach den Feststellungen ist in den USA die Klagseinbringung nicht „under seal“ der Regelfall und sind Medieninterviews eines Rechtsanwalts einer Prozesspartei zu einer anhängigen Rechtssache nichts Ungewöhnliches. Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass es hier auch vor diesem Hintergrund, aufgrund der Machtverhältnisse/Realstruktur der Klägerin und des Umstands des Gesellschafterausschlusses eine Überspannung der Treuepflicht der Beklagten wäre, von der Beklagten zu verlangen, für die Einbringung einer Klage und eines Beweissicherungsantrags „under seal“ durch ihren Rechtsvertreter und für eine Unterlassung von Medieninterviews zu sorgen, ist jedenfalls vertretbar. Eine gezielte (manipulative) Medienkampagne konnten die Vorinstanzen gerade nicht feststellen. Wenn die Revision in diesem Zusammenhang geltend macht, es sei lebensfremd, wenn das Berufungsgericht keine Vorinformation von Medien durch die Beklagte annehme und davon ausgehe, dass die Beklagte ihrem Anwalt nicht den Auftrag gegeben habe, gezielt mehrere Medieninterviews zu geben, ist dies der unzulässige Versuch der Bekämpfung der Feststellungen (vgl RIS-Justiz RS0069246).

3.2. Das Berufungsgericht hat auch nicht die Beweislastregeln verkannt, wenn es die Auffassung vertritt, die Klägerin müsse beweisen, dass es sich bei den in der Klage vor dem United States District Court enthaltenen Geschäftsinformationen um Geschäfts- und Betriebs-geheimnisse gehandelt habe. Nach allgemeinen Grundsätzen hat jede Partei die tatsächlichen Voraussetzungen der ihr günstigen Norm zu behaupten und zu beweisen; sie trägt daher die Beweislast (RIS-Justiz RS0039939). Soweit die Klägerin die Verletzung der Treuepflicht darauf stützt, dass die Beklagte geheime Informationen an die Öffentlichkeit trage, trägt die Klägerin die Beweislast dafür, dass das Erstgericht die Feststellung traf, nicht feststellen zu können, ob im Einzelnen angeführte und in der Klage enthaltene Informationen nicht schon vor Einbringung der Klage öffentlich zugänglich bzw bekannt waren.

3.3. Es verstößt zwar gegen die gesellschaftliche Treuepflicht, wenn ein Gesellschafter – selbst erweislich wahre – kreditschädigende Äußerungen über die Gesellschaft oder Mitgesellschafter gegenüber Dritten macht (7 Ob 607/82; 7 Ob 719/83; S.-F. Kraus/U. Torggler, GmbHG § 61 Rz 40). Die Auffassung des Berufungsgerichts aber, dass der Beklagten keine Verletzung der Treuepflicht anzulasten ist, wenn als kreditschädigende Äußerungen zu wertende Tatsachenbehauptungen über die Klägerin notwendiger Bestandteil einer Schadenersatzklage unter anderem gegen die Klägerin oder eines Beweissicherungsantrags sind, weil andernfalls der Schadenersatzanspruch nicht durchsetzbar wäre, bedarf keiner Korrektur. So können auch ehrverletzende oder rufschädigende (§ 1330 ABGB) Prozessbehauptungen wegen des Rechts auf ungehinderte Prozessführung gerechtfertigt sein (RIS-Justiz RS0022784; RS0114015).

4. Es liegt auch die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht vor. Das Berufungsgericht hat sich mit den Argumenten der Klägerin in der Beweisrüge inhaltlich auseinandergesetzt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass für die Behauptung, die Beklagte habe gewissermaßen eine „Medienkampagne“ in Auftrag gegeben, keine ausreichenden Beweisergebnisse vorlägen. Die Erledigung der Beweisrüge durch das Berufungsgericht unterliegt keiner weiteren inhaltlichen Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof, weil er nicht Tatsacheninstanz ist (RIS-Justiz RS0069246). Ein Mangel des Berufungsverfahrens wäre nur dann gegeben, wenn – anders als im vorliegenden Fall – das Berufungsgericht die Rüge gar nicht erledigt hätte (RIS-Justiz RS0043144).

Leitsätze