Dokument-ID: 813175

Judikatur | Entscheidung

Ro 2015/02/0015; VwGH; 11.09.2015

GZ: Ro 2015/02/0015 | Gericht: VwGH vom 11.09.2015

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und die Hofräte Dr. Lehofer und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision des G in L, vertreten durch die GKP Gabl Kogler Leitner Stöglehner Bodingbauer Rechtsanwälte OG in 4020 Linz, Museumstraße 31a, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 16. Dezember 2014, Zl LVwG-600525/8/ZO/CG/SA, betreffend Übertretung des Kraftfahrgesetzes (Partei gemäß § 21 Abs 1 Z 2 VwGG: Landespolizeidirektion Oberösterreich), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 5. November 2013 wurde der Revisionswerber gemäß § 103 Abs 2 KFG aufgefordert, binnen zwei Wochen ab Zustellung des Schreibens mitzuteilen, wer ein nach dem Kennzeichnen bezeichnetes Kraftfahrzeug am 25. Mai 2013 um 17.47 Uhr an einem näher bestimmten Ort gelenkt/verwendet bzw zuletzt vor diesem Zeitpunkt am Tatort abgestellt habe, oder die Person zu benennen, welche die Auskunft erteilen könne.

Dieses Schreiben wurde an den Revisionswerber als Zulassungsbesitzer an die Anschrift der Rechtsanwaltskanzlei der G Rechtsanwälte OG gerichtet; der Revisionswerber ist Gesellschafter der G Rechtsanwälte OG. Im Verfahren ist unstrittig, dass dieses Schreiben – entsprechend dem in den vorgelegten Akten enthaltenen Rückschein – am 8. November 2013 von Frau R., einer Angestellten der G Rechtsanwälte OG, übernommen wurde.

Mit Strafverfügung vom 12. Februar 2014 verhängte die Bezirkshauptmannschaft Gmunden über den Revisionswerber gemäß § 134 Abs 1 KFG eine Geldstrafe von EUR 80,00 (Ersatzfreiheitsstrafe von 51 Stunden), weil er die Auskunft nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist erteilt und auch keine andere Person genannt habe, die die Auskunft erteilen hätte können. Damit habe der Revisionswerber § 103 Abs 2 KFG verletzt.

Nachdem der Revisionswerber dagegen Einspruch erhoben hatte, wurde er mit Schreiben vom 5. Juni 2014 von der Landespolizeidirektion Oberösterreich, der das Verfahren gemäß § 29a VStG abgetreten worden war, aufgefordert, sich schriftlich binnen 14 Tagen ab Erhalt des Schreibens zu rechtfertigen sowie seiner Verteidigung dienende Tatsachen und Beweismittel bekanntzugeben.

In seinen Stellungnahmen vom 26. Juni 2014 und 29. August 2014 führte der Revisionswerber zusammengefasst aus, weder er noch eine zum Empfang derartiger Schriftstücke berechtigte Person habe die Aufforderung zur Bekanntgabe des Fahrzeuglenkers übernommen. Frau R. sei Angestellte der G Rechtsanwälte OG und nicht berechtigt, für den Revisionswerber Privatpost entgegenzunehmen. Außerdem wohne sie weder an derselben Abgabestelle wie der Revisionswerber, noch sei sie dessen Arbeitnehmerin oder Arbeitgeber. Er habe die Lenkeranfrage auch nicht erhalten und vermute, dass diese, was gelegentlich vorkomme, in der Masse der Post verloren gegangen oder falsch abgelegt worden sei. Der Revisionswerber wohne zusammen mit seinen minderjährigen Kindern und seiner Ehefrau. Arbeitnehmerhabe er keine, er sei selbstständig und habe daher keinen Arbeitgeber. Dementsprechend hätte eine Ersatzzustellungnur wirksam an seine Ehefrau vorgenommen werden können.

Mit Straferkenntnis vom 17. September 2014 verhängte die Landespolizeidirektion Oberösterreich über den Revisionswerber gemäß § 134 Abs 1 KFG eine Geldstrafe von EUR 80,00 (Ersatzfreiheitsstrafe von 16 Stunden). Er habe als Zulassungsbesitzer des näher bezeichneten Kraftfahrzeuges auf Verlangen der Bezirkshauptmannschaft Gmunden binnen zwei Wochen ab Zustellung der schriftlichen Aufforderung keine dem Gesetz entsprechende Auskunft darüber erteilt, wer dieses Kraftfahrzeug am 25. Mai 2013 um 17.47 Uhr an einem näher bestimmten Ort gelenkt habe. Dadurch habe der Revisionswerber § 103 Abs 2 KFG verletzt.

Mit nunmehr angefochtenem Erkenntnis vom 16. Dezember 2014 hat das Verwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewiesen. Das Verwaltungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig sei.

Dabei ging das Verwaltungsgericht im Wesentlichen davon aus, dass die gegenständliche Lenkererhebung an die Adresse (M.)- Gasse 31a/1 in L gesendet worden sei. Dabei handle es sich um die Zulassungsadresse des PKW und jene Adresse, an welcher der Revisionswerber mit Hauptwohnsitz gemeldet sei. Das Objekt in der (M.)-Gasse 31a weise weder außen noch im Eingangsbereich Türschilder oder Briefkästen auf. Aufschriften würden auf die Kanzlei der G Rechtsanwälte OG sowie andere Büros hinweisen. Es gebe keinerlei Hinweis oder gar einen Briefkasten für eine Privatwohnung des Revisionswerbers. Der Lift halte direkt im Sekretariat der Rechtsanwaltskanzlei, auch in diesem Bereich bzw im Stiegenhaus gebe es keinen Hinweis auf eine Privatwohnung oder einen Briefkasten.

Das Zustellorgan habe die Lenkererhebung, welche mittels RSb versendet worden sei, im Sekretariatsbereich der Rechtsanwaltskanzlei an eine Angestellte der Kanzlei, Frau R., übergeben. Diese sei Angestellte der G Rechtsanwälte OG, also einer Personengesellschaft, und nicht des Revisionswerbers persönlich. Der Revisionswerber sei einer von fünf unbeschränkt haftenden Gesellschaftern der angeführten offenen Gesellschaft (OG).

Die Zeugin R. habe den Zustellvorgang zusammengefasst dahingehend geschildert, dass sie selbst den gegenständlichen RSb-Brief übernommen habe. Anhand des Kuverts könne sie nicht erkennen, ob das darin befindliche Schriftstück an den jeweiligen Adressaten persönlich gerichtet sei oder ob es sich um ein Schreiben handle, welches einen Mandanten betreffe und an die Kanzlei zugestellt werde. Diesen Unterschied könne sie erst nach Öffnen des Kuverts durch Lesen des Schriftstückes erkennen. Eingehende Schreiben würden einem Akt zugeordnet und in die Postmappe gegeben. Wenn sie keinem konkreten Akt zugeordnet werden könnten, würden die Schreiben ebenfalls in die Postmappe gegeben und dem jeweiligen Juristen gebracht. Diese manipulativen Tätigkeiten führe irgendeine Sekretärin durch, welche dazu Zeit habe. Die gesamte für den Revisionswerber persönlich bestimmte Post werde ebenfalls in die Kanzlei gebracht, einen separaten Briefkasten für ihn gebe es nicht. Der Revisionswerber habe nichts darüber gesagt, ob sie ermächtigt sei, auch private Post für ihn entgegenzunehmen. Beim gegenständlichen Schriftstück sei sie bei Entgegennahme davon ausgegangen, dass das Schreiben einen Mandanten betreffe. Sie könne die Entgegennahme solcher Schreiben nicht verweigern, weil sie ja zum Zeitpunkt der Entgegennahme nicht wisse, ob die Post für den Revisionswerber persönlich oder in seiner Eigenschaft als Vertreter eines Mandanten bestimmt sei. Hätte sie die Briefträgerin darauf hingewiesen, dass das Schreiben für den Revisionswerber persönlich bestimmt sei, hätte sie geschaut, ob dieser in der Kanzlei anwesend sei; er hätte dann das Schriftstück selbst entgegennehmen müssen.

Die Behauptung des Revisionswerbers, dass ihm die gegenständliche Lenkererhebung nie tatsächlich zugegangen sei, könne für das Verwaltungsgericht nicht mit der für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit widerlegt werden. Es erscheine zwar ungewöhnlich und aufgrund des in anderen Rechtsanwaltskanzleien gepflogenen sorgfältigen Umgangs mit Schriftstücken nur schwer nachvollziehbar, dass nachweislich zugestellte behördliche Schriftstücke verloren würden; allerdings müsse dies für die konkrete Rechtsanwaltskanzlei aufgrund der ausdrücklichen Behauptung des Revisionswerbers und der dazu passenden Aussage der Zeugin R. wohl tatsächlich angenommen werden.

In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber sei zwar selbst berufsmäßiger Parteienvertreter, § 13 Abs 4 Zustellgesetz (ZustG), wonach für diese an der Kanzlei zuzustellen sei, sei im konkreten Fall jedoch nicht anzuwenden, weil diese Bestimmung nur dann gelte, wenn an den Parteienvertreter in dieser Funktion (und nicht an ihn persönlich) zugestellt werde.

Ob die Lenkererhebung rechtmäßig zugestellt worden sei, sei daher gemäß § 16 Abs 1 und 2 ZustG zu beurteilen. Im konkreten Fall habe das Zustellorgan den RSb-Brief nicht dem Empfänger persönlich zustellen können, weil es diesen während des Zustellvorganges nicht persönlich angetroffen und eine Angestellte der Anwaltskanzlei das Schriftstück übernommen habe.

Der Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis vom 17. Dezember 1998, Zl 95/06/0254, ausgesprochen, dass eine Angestellte einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) nicht als Ersatzempfängerin für den Geschäftsführer dieser GmbH infrage komme. Die Angestellte sei nicht Arbeitnehmerin des Geschäftsführers, sondern eben Arbeitnehmerin der juristischen Person. Diese Entscheidung könnte auf den ersten Blick auch auf den gegenständlichen Fall angewendet werden, wobei allerdings zu berücksichtigen sei, dass zwischen einer GmbH und einer OG doch erhebliche Unterschiede bestehen. Zwar sei gemäß § 105 des Unternehmensgesetzbuches (UGB) auch die OG rechtsfähig; allerdings seien alle Gesellschafter gesamthandschaftlich verbunden und es sei bei keinem der Gesellschafter die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern beschränkt. Es bestehe daher bei einer OG ein engerer Bezug der Gesellschafter zur Gesellschaft und deren Arbeitnehmern als bei einer GmbH.

Der Begriff „Arbeitnehmer“ in § 16 Abs 2 ZustG sei nicht in seiner zivilrechtlichen Bedeutung zu verstehen, sondern aus der Sicht des ZustG auszulegen. Der Oberste Gerichtshof habe in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass eine Ersatzzustellung an einen Arbeitnehmer des Empfängers die Abhängigkeit und Unselbstständigkeit des Übernehmers der Postsendung vom Adressaten voraussetze. Der Oberste Gerichtshof stelle also nicht darauf ab, ob zwischen dem Adressaten und dem Übernehmer der Briefsendung ein formalrechtliches Arbeitsverhältnis bestehe, sondern ob der Übernehmer der Sendung vom Adressaten (wirtschaftlich) abhängig sei. In der Entscheidung vom 15. September 2010, 2 Ob 118/10g, habe der Oberste Gerichtshof ein derartiges „Arbeitnehmerverhältnis“ auch bei einer „nicht offiziell angestellten Putzfrau“ angenommen und die Ersatzzustellung an diese als rechtmäßig erkannt, obwohl mit dieser kein formales Arbeitsverhältnis bestanden habe.

Die Regelungen betreffend die Ersatzzustellung in § 16 ZustG hätten den Zweck, dass die Zustellung eines Schriftstückes auch möglich sei, wenn das Zustellorgan den Empfänger nicht antreffe. Um den Empfänger bestmöglich zu schützen und soweit als möglich sicherzustellen, dass dieser auch tatsächlich in den Besitz des an einen Ersatzempfänger zugestellten Schriftstückes komme, lasse das Gesetz nur solche Personen als Ersatzempfänger zu, die in einem besonderen Naheverhältnis zum Empfänger stünden (Haushaltsangehörige) oder bei denen eine enge berufliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit bestehe (Arbeitnehmer). Bei diesen Personen gehe der Gesetzgeber offenbar davon aus, dass der Ersatzempfänger die entgegengenommenen Schriftstücke regelmäßig auch tatsächlich dem Empfänger weiterleite. Diese Annahme sei auch im gegenständlichen Fall gerechtfertigt, weil sämtliche Angestellte der OG regelmäßig Post für den Revisionswerber übernehmen und an diesen weiterleiten würden. Sie selbst und auch das Zustellorgan hätten daher davon ausgehen können, dass der Revisionswerber mit der Übernahme der Schriftstücke einverstanden sei. Für die Zeugin R. als Angestellte der OG bestehe eine wirtschaftliche Abhängigkeit im Sinne der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht nur gegenüber der Gesellschaft, sondern auch gegenüber jedem einzelnen Gesellschafter, weshalb sie aus zustellrechtlicher Sicht als „Arbeitnehmerin“ (auch) des Revisionswerbers anzusehen sei.

Dieses Ergebnis werde auch durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. November 2012, Zl 2010/05/0027, gestützt. Im dort zu beurteilenden Fall hätten zwei verschiedene GmbHs, welche zu einer einheitlichen Unternehmensgruppe gehörten, einen einzigen Empfangsbereich eingerichtet, in welchem Angestellte beider Gesellschaften tätig gewesen seien. Diese hätten regelmäßig Post für beide GmbHs entgegengenommen. Der Verwaltungsgerichtshof habe bei dieser Konstellation ausgesprochen, dass es für die Wirksamkeit der Ersatzzustellung an eine der beiden GmbHs nicht darauf ankomme, ob jene Person, welche das Schriftstück entgegengenommen habe, bei dieser oder bei der anderen GmbH beschäftigt sei. Der Verwaltungsgerichtshof habe in dieser Entscheidung also nicht darauf abgestellt, ob das Arbeitsverhältnis formal mit der Empfängerin besteht, sondern die tatsächlichen Verhältnisse wesentlich stärker berücksichtigt.

Die tatsächlichen Verhältnisse würden auch im gegenständlichen Fall dafür sprechen, dass die Zeugin R. als Ersatzempfängerin des Revisionswerbers anzusehen sei: Der Revisionswerber und die OG hätten eine „gemeinsame Einlaufstelle“, weil die an den Revisionswerber gerichtete Post regelmäßig in der Kanzlei der OG übernommen werde und der Revisionswerber selbst keinen Briefkasten oder eine sonstige Zustellmöglichkeit bereithalte. Aus dem Umstand, dass die Angestellten der OG auch in der Vergangenheit Schriftstücke, welche für den Revisionswerber persönlich bestimmt gewesen seien, übernommen hätten, sei abzuleiten, dass diese Tätigkeit durchaus zu den Obliegenheiten der Angestellten gehört habe und sie daher als „Arbeitnehmer“ im zustellrechtlichen Sinn zu qualifizieren seien. Dieses Ergebnis werde praktisch noch dadurch bestärkt, dass für die Angestellten der OG bei der Übernahme der Schriftstücke – zumindest im konkreten Fall – nicht eindeutig ersichtlich gewesen sei, ob dieses Schriftstück inhaltlich für die Anwaltskanzlei oder für den Revisionswerber persönlich bestimmt sei. Die Angestellten der OG hätten also keine Wahlmöglichkeit, sondern es gehöre zu ihren Pflichten, derartige RSb-Briefe zu übernehmen.

Die Lenkererhebung der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 5. November 2013 sei daher am 8. November 2013 gültig zugestellt worden und der Revisionswerber habe als Zulassungsbesitzer die geforderte Auskunft nicht erteilt.

Die Zulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass die Frage bisher nicht geklärt sei, ob eine Angestellte einer OG aus zustellrechtlicher Sicht als Ersatzempfängerin eines Gesellschafters dieser OG anzusehen sei oder nicht.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die ordentliche Revision des Revisionswerbers.

Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision kostenpflichtig abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht legte die Revision zusammen mit den Verfahrensakten vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Die im Revisionsfall maßgeblichen Bestimmungen des Zustellgesetzes (ZustG) lauten (auszugsweise):

„Begriffsbestimmungen

§ 2. Im Sinne dieses Bundesgesetzes bedeuten die Begriffe:

(…)

4. 'Abgabestelle': die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder auch der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort, oder ein vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem laufenden Verfahren angegebener Ort;

(…)

Zustellung an den Empfänger

§ 13. (1) Das Dokument ist dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen. Ist aber aufgrund einer Anordnung einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichtes an eine andere Person als den Empfänger zuzustellen, so tritt diese an die Stelle des Empfängers.

(…)

(4) Ist der Empfänger eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person, so ist das Dokument in deren Kanzlei zuzustellen und darf an jeden dort anwesenden Angestellten des Parteienvertreters zugestellt werden; durch Organe eines Zustelldienstes darf an bestimmte Angestellte nicht oder nur an bestimmte Angestellte zugestellt werden, wenn der Parteienvertreter dies schriftlich beim Zustelldienst verlangt hat. Die Behörde hat Angestellte des Parteienvertreters wegen ihres Interesses an der Sache oder aufgrund einer zuvor der Behörde schriftlich abgegebenen Erklärung des Parteienvertreters durch einen Vermerk auf dem Dokument und dem Zustellnachweis von der Zustellung auszuschließen; an sie darf nicht zugestellt werden.

(…)

Ersatzzustellung

§ 16. (1) Kann das Dokument nicht dem Empfänger zugestellt werden und ist an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend, so darf an diesen zugestellt werden (Ersatzzustellung), sofern der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält.

(2) Ersatzempfänger kann jede erwachsene Person sein, die an derselben Abgabestelle wie der Empfänger wohnt oder Arbeitnehmer oder Arbeitgeber des Empfängers ist und die - außer wenn sie mit dem Empfänger im gemeinsamen Haushalt lebt - zur Annahme bereit ist.

(3) Durch Organe eines Zustelldienstes darf an bestimmte Ersatzempfänger nicht oder nur an bestimmte Ersatzempfänger zugestellt werden, wenn der Empfänger dies schriftlich beim Zustelldienst verlangt hat.

(4) Die Behörde hat Personen wegen ihres Interesses an der Sache oder aufgrund einer schriftlichen Erklärung des Empfängers durch einen Vermerk auf dem Dokument und dem Zustellnachweis von der Ersatzzustellung auszuschließen; an sie darf nicht zugestellt werden.

(5) Eine Ersatzzustellung gilt als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam.“

1.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Unternehmensgesetzbuches (UGB) lauten (auszugsweise):

„Begriff

§ 105. Eine offene Gesellschaft ist eine unter eigener Firma geführte Gesellschaft, bei der die Gesellschafter gesamthandschaftlich verbunden sind und bei keinem der Gesellschafter die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern beschränkt ist. Die offene Gesellschaft ist rechtsfähig. Sie kann jeden erlaubten Zweck einschließlich freiberuflicher und land- und forstwirtschaftlicher Tätigkeit haben. Ihr gehören mindestens zwei Gesellschafter an.

(…)

Unbeschränkte Haftung der Gesellschafter

§ 128. Die Gesellschafter haften für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern als Gesamtschuldner unbeschränkt. Eine entgegenstehende Vereinbarung ist Dritten gegenüber unwirksam.“

2. Auch in der Revision wird die Zulässigkeit damit begründet, dass es einer höchstgerichtlichen Rechtsprechung ermangle, ob eine Angestellte einer OG nach dem ZustG als Ersatzempfängerin eines Gesellschafters dieser OG anzusehen und zur Empfangnahme eines an diesen Gesellschafter gerichteten RSb-Briefes berechtigt sei.

Damit erweist sich die Revision als zulässig. Sie ist jedoch nicht berechtigt:

3. Der Revisionswerber ist eingetragener Rechtsanwalt und damit eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person im Sinne des § 13 Abs 4 ZustG.

§ 13 Abs 4 ZustG findet auch dann Anwendung, wenn einem Rechtsanwalt ein an ihn persönlich (und nicht als Parteienvertreter) gerichtetes Schriftstück in seiner Kanzlei zugestellt wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1990, Zl 89/02/0161). In diesem Fall darf – soweit der Parteienvertreter nicht Anderes schriftlich verlangt hat – das zuzustellende Dokument an jeden in der Kanzlei anwesenden Angestellten des Parteienvertreters zugestellt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. April 1991, Zl 90/15/0011, sowie die hg. Erkenntnisse vom 9. November 1988, Zl 88/03/0137, vom 19. April 1989, Zl 89/02/0018, und vom 10. November 1995, Zl 95/17/0048).

4. Im Revisionsfall ist strittig, ob Frau R. als Angestellte der G Rechtsanwälte OG, deren Gesellschafter der Revisionswerber ist, diesem als Angestellte (§ 13 Abs 4 ZustG) zuzurechnen ist:

5. Der Begriff der „Angestellten“ in § 13 Abs 4 ZustG ist nicht im arbeitsvertragsrechtlichen Sinn zu verstehen; es können daher durchaus auch nicht als Angestellte im Sinne des Angestelltengesetzes (AngG), BGBl Nr 292/1921, zu wertende Personen als Angestellte im Sinne der Zustellvorschriften angesehen werden (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 19. April 1989, Zl 89/02/0018, mwN).

Zum „Arbeitnehmer“-Begriff des § 16 Abs 2 ZustG hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 13. November 2012, Zl 2010/05/0027, ausgeführt, dass die Rechtsgrundlage des Beschäftigungsverhältnisses ebenso unerheblich ist wie die Frage, ob die Beschäftigung entgeltlich oder unentgeltlich erfolgt; die Leistung muss bloß einvernehmlich, also mit Wissen und Willen des Arbeitgebers erbracht werden. Nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofes (RIS-Justiz RS0038017) kommt es nur darauf an, ob Abhängigkeit und Unselbstständigkeit des Übernehmers der Postsendung vom Adressaten vorliegt.

Dieses Verständnis des Begriffs „Arbeitnehmer“ in § 16 Abs 2 ZustG liegt auch dem hier maßgeblichen Begriff der „Angestellten“ in § 13 Abs 4 ZustG zugrunde.

6. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes führt ein den Sinn des § 13 Abs 4 ZustG berücksichtigendes Verständnis zu dem Ergebnis, dass die Rechtmäßigkeit einer Zustellung an einen von mehreren eine Kanzleigemeinschaft bildenden Rechtsanwälten nicht davon abhängt, ob ein – nach außen gar nicht erkennbares – spezielles Vertragsverhältnis besteht. Eine Durchschnittsbetrachtung erlaubt die Annahme, dass im Zweifel jeder in einer Rechtsanwaltskanzlei anwesende Angestellte zur Entgegennahme von Schriftstücken für jeden der in Betracht kommenden Rechtsanwälte befugt ist. Der Rechtsanwalt hat nach § 13 Abs 4 ZustG die Möglichkeit, die Zustellung an bestimmte, in seiner Kanzlei tätige Angestellte durch schriftliche Erklärung gegenüber der Post auszuschließen. Damit kann er verhindern, dass an ihn adressierte Schriftstücke durch ihm gegenüber nicht vertraglich gebundene Personen, die in seinen Kanzleiräumen arbeiten, mit rechtlicher Wirksamkeit für ihn übernommen werden können (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 1996, Zl 93/13/0207, mwN). Dies ist sinngemäß auch auf den Fall übertragbar, wenn die Kanzleigemeinschaft in die Rechtsform einer OG gekleidet ist.

7. Im Revisionsfall wurde die Aufforderung der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 5. November 2013 Frau R. zugestellt. Als Angestellte der G Rechtsanwälte OG war sie dem Revisionswerber nach dem Gesagten als Angestellte iSd § 13 Abs 4 ZustG zuzurechnen, weshalb die Zustellung am 5. November 2013 rechtmäßig erfolgt ist.

8. Die Revision erweist sich daher als unbegründet und war gemäß § 42 Abs 1 VwGG abzuweisen.

9. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl II Nr 518/2013 idF BGBl II Nr 8/2014.

Wien, am 11. September 2015

Leitsätze

  • Zurechnung der Angestellten einer OG, deren Gesellschafter die Partei ist, nach § 13 Abs. 4 ZustG

    Angestellte einer Rechtsanwälte OG sind den einzelnen Gesellschaftern der OG gem § 13 Abs 4 ZustG zuzurechnen, weil der Angestelltenbegriff des § 13 Abs 4 ZustG kein spezielles, nach außen erkennbares Vertragsverhältnis voraussetzt. Die Zustellung darf an jeden in der Kanzlei anwesenden Angestellten erfolgen, sofern er gegenüber der Post nicht schriftlich von der Übernahme ausgeschlossen wurde.
    WEKA (vpa) | Judikatur | Leitsatz | Ro 2015/02/0015 | VwGH vom 11.09.2015 | Dokument-ID: 813177